Swans - Michael Gira

Swans - Michael Gira © Lino Brunetti

No Wave gilt als vergessenes Genre. Bands wie Mars, Lydia Lunch oder Arto Lindsays DNA dienen heute nur noch Kennern zur Unterhaltung oder werden vom Feuilleton genutzt, um auf Parallelen zu gegenwärtigen Künstlern zu verweisen. Swans konnten diesem Sog jedoch entfliehen. 1982 von Michael Gira gegründet, konnte sich die Formation vor allem durch ihre Konzerte einen Namen machen. Die Intensität der frühen Swans ist legendär, wurde zeitweise eher gefürchtet als zelebriert, und sie haben bis heute nichts davon eingebüßt.

{image}Unvergessen bleibt ein Konzert in London, bei dem Gira und seine Noise-Kompagnons die Anlage eines Stadions in einen Club karrten, die Notausgänge mit Ketten verriegelten und eines der lautesten Konzerte überhaupt spielten. Eine maximale Amplitude sollte die Katharsis für Band und Gäste einleiten, führte jedoch zu einer Art Massenpanik, der niemand mehr entkommen konnte. Die damalige Passion zu den Büchern von Marquis de Sade wurde auf der Bühne ausgelebt und eine akustische Folterung vollzogen. Die Polizei und Veranstalter hatte keine Möglichkeit das Spektakel abzublasen und konnten vorerst nur gebeugt von außen zuhören. 1997 folgte dann der Bruch und die Swans gingen getrennte Wege. Michael Gira widmete sich vermehrt seinem Nebenprojekt Angels of Light, Sängerin Jarboe arbeitete an ihrer Solokariere oder kollaborierte mit Neurosis, Blixa Bargeld und Attila Csihar.

Letztes Jahr erklärte Gira die Wiedervereinigung der Swans, allerdings ohne Jarboe. Bei einem Konzert mit den Angels of Light übermannte ihn angeblich das Bedürfnis "erneut laute Musik zu spielen". Um der ehemaligen Kompromisslosigkeit gerecht zu werden, sollte es jedoch nicht nur eine fragliche Reunion im Stile von Pavement oder Slint geben, sondern eine neue Platte musste die passenden Rahmenbedingungen für eine anschließende Tour schaffen. My Father Will Guide Me Up a Rope to the Sky erschien nur ein halbes Jahr später auf dem Young God Label und Rezensenten rund um den Globus waren begeistert. Dass die Swans auch live nichts von ihrer Energie eingebüßt haben, beweisen sie im Gebäude 9 in Köln.

Swans – A Screw (live)

Eröffnet wird das Konzert von dem Gitarristen Kristof Hahn, der ebenfalls für die Lapsteel-Gitarren der Swans zuständig ist und ansonsten bei Les Hommes Sauvages sein Unwesen treibt. Leise Bluesnummern vom Leben als Außenseiter beschwören noch etwas Stille im Raum, bevor es nach einer kleinen Umbauphase zur Sache geht. Ein stehender Ton leitet das Konzert ein und polarisiert durch seine Kontinuität, denn es dauert fast 15 Minuten bis zuerst Schlagzeuger und Cop Shoot Cop Gründungsmitglied Phil Puleo die Bühne betritt, um weitere Klänge beizusteuern. Thor Harris und Kristof Hahn folgen kurze Zeit später und schon jetzt zeichnet sie die immense Lautstärke ab, die sich stetig steigert und keine Ende zu haben scheint. Thor schindet am zweiten Schlagzeug, Gong sowie diversen Blas- und Streichinstrumenten besonderen Eindruck. Bassist Chris Pravdica, Gitarrist Norman Westberg und Michael Gira steigen ein und liefern den nötigen Rest. In Sachen Sound und Attitüde scheinen die Swans jede Noise-, Grindcore- und Death-Metal- Band in nur wenigen Sekunden komplett zu pulverisieren. Hier geht es nicht um die Schnürung eines Kults oder reine Selbstinszenierung – das hier ist blanker Ernst. Die Augen von Gira – wenn er denn mal ins Publikum schaut – sprechen da für sich. Selbst der Umgang untereinander ist von Wahnsinn geprägt: ständig erteilen sich die Musiker spontane Anweisungen um die Musik weiterhin zu intensivieren. Gira wirkt wie ein Prediger, dem alle zu unterliegen scheinen und sich dabei gerne mal selbst ins Gesicht schlägt oder minutenlang auf dem Boden wälzt. Langsam schleppen sich die monotonen Gebilde nach vorne, steigern sich, zerfallen wieder und fordern jeden einzelnen Gast heraus

Swans – I Crawled (live)

Gespielt werden Songs vom neuen Album, die durch die relativ opulente aber eigenwillige Instrumentierung auffallen, aber auch alte Songs werden neu verpackt. Ein besonderes Highlight ist wohl die Neuauflage von I Crawled. "I want you to be my father / You know what I am / I want you to kill me" schreit Gira in die Menge und wird dabei von einem brachialen Bollwerk unterstützt. Rund 2,5 Stunden malträtieren die Swans ihre Instrumente und unsere Körper, um uns anschließend wieder in die Nacht zu entlassen. Frei von jeglichen Gedanken, aber mit einer gehörigen Portion Tinnitus.

Ein Kritiker beschrieb die Musik der Swans einmal als "aggressive beyond words" – dem kann man auch heute noch zustimmen.

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