Ray Davies, hauptsächlicher Songwriter der Kinks

Ray Davies, hauptsächlicher Songwriter der Kinks © Universal Music

Teil 2 der Besprechung der Deluxe-Editionen von Kinks-Alben aus den 1960ern beschäftigt sich mit zwei unangefochtenen Klassikern, und zwar dem 1968 erschienenen "Are The Village Green Preservation Society" und "Arthur Or The Decline And Fall Of The British Empire" aus dem Jahr 1969.

Teil 1 verpasst? Kein Problem, hier nachlesen → CD-Rezension: The Kinks. (1) Face To Face und Something Else (Deluxe Editions)

Obwohl "Something Else" zahlreiche Kinks-Klassiker enthielt, war es kein Verkaufserfolg. Ray Davies reagierte auf den zunehmenden Druck von Seiten der Plattenfirma Pye, endlich mehr Hits zu produzieren, mit einem Rückzug ins Private. Als typisches Kind der 1960er strebte er danach, seiner musikalischen Kreativität freien Lauf zu lassen. Analog zu den Beatles verabschiedeten sich die Kinks von den ständigen Tourneen und zogen sich ins Studio zurück, wo sie im Verlauf des Jahres 1968 das Album "The Kinks Are The Village Green Preservation Society" (im Folgenden Village Green) aufnehmen sollten – eines der besten Alben der 1960er und ein kommerzieller Fehlschlag zugleich.

Während seine Zeitgenossen auf beiden Seiten des Atlantiks unter dem Einfluss von Drogen psychedelische Musik schufen, sich politisch gegen den Vietnamkrieg engagierten oder die sexuelle Befreiung propagierten, wandte sich der junge Familienvater Ray Davies von der "halb-verrückten" Welt ab und beschwor in seiner Musik ein ländlich-kleinstädtisches Idyll herauf, das er weder selbst gekannt noch das in dieser Form jemals existiert hatte.

Das England von "Village Green" ist ein Refugium des einfachen, ehrlichen Lebens abseits der großen Städte. Schließlich war Ray Davies in London aufgewachsen und wusste, dass sich das Leben der einfachen Leute dort nicht zum Romantisieren eignete! Die Orte auf "Village Green" sind ebenso archetypisch wie imaginär, aber gleichwohl sind sie angefüllt mit Impressionen realer Personen und autobiografischen Erlebnissen.

Mit dieser Sichtweise stand Ray Davies komplett im Gegensatz zum Zeitgeist der späten 1960er. Davies drängte nicht in die Welt hinein, nach Europa, Indien oder in die USA, sondern wandte sich nach Innen und lebte seine melancholische Nostalgie in vollen Zügen aus. Wie abseitig und gewagt das Village Green-Konzept war, kann man sich verdeutlichen, indem man sich vorstellt, dass Ton Steine Scherben Mitte der 1970er ein Album mit dem Titel Ton Steine Scherben sind die Dorfanger-Schutzgesellschaft veröffentlicht hätten. So weit ging Rio Reisers ländlicher Eskapismus dann doch nicht! Neil Young, ein weiterer Popstar mit Sehnsucht nach ländlichen Leben hingegen hat die feine Ironie der "Preservation Society" benutzt, um die Organisation Farm Aid mitzubegründen.

"Village Green" wäre der größte Treppenwitz der Popgeschichte, wenn Ray Davies für dieses Album nicht eine unglaubliche Menge großartiger Songs geschrieben hätte. Interessanterweise deutet er in den Liner Notes der 3-CD-Deluxe-Edition an, dass einige oder zahlreiche Lieder auf Geschichten basieren, die er seinen jungen Töchtern erzählte. Das würde erklären, warum weite Teile des Albums so ruhig und harmonisch sind. Am deutlichsten sind diese Einflüsse auf Liedern wie dem kinderliedartigen "Phenomenal Cat" und dem sing-along "All Of My Friends Were There" zu hören.

Dennoch ist "Village Green" kein kindlich-naives Werk, sondern zeigt vielfach eine ironisch gebrochene Sicht auf das vielgepriesene ländliche Idyll. Dass seine ländliche Zuflucht nur in seinen Gedanken existierte, war Ray Davies nur allzu gut bewusst. Sie bot ihm einen Rückzugsort von den Pressionen des Lebens – aber nicht mehr! Die Unerreichbarkeit des Idylls findet sich bereits in aller Deutlichkeit in den Liedern des Albums: An der alten Eiche, wo der Erzähler in "Village Green" (dem Lied) seine Jugendliebe Polly küsste, stehen jetzt amerikanische Touristen und machen Bilder vom Village Green – und Polly ist längst mit Tom, dem Lebensmittelhändler, verheiratet.

Selbst sein alter Freund Walter würde ihn nicht mehr erkennen – so vermutet er in "Do You Remember Walter". So stellt er sich lieber vor, dass Walter gar nichts mehr von ihm und seinen alten Geschichten wissen will, fett geworden ist und abends früh zu Bett geht. Aber es ist nicht Walter, der sich nicht erinnert, es ist der Erzähler selbst, für den Walter nur ein "Echo" aus einer längst vergangenen Welt ist. Aus diesem Grund hat sich Ray Davies nie eine Animal Farm gekauft!

Es ist nicht überraschend, dass ein solches Werk im Jahr 1968 wenige Hörer fand – jeweils anfänglich. In England und dem übrigen Europa wurde es weitgehend ignoriert, aber als es 1969 in den USA erschien, erhielt es verdientes Kritiker-Lob und fand eine kleine, aber enthusiastische Anhängerschaft, die vielleicht die Basis des späteren Erfolgs der Kinks in Amerika bildete.

Die 3-CD Deluxe-Edition von Village Green erschien bereits 2004 – und ermöglichte die neuen Ausgaben der übrigen Kinks-Alben vielleicht erst. Auf den ersten zwei CDs enthält sie die sowohl sehr dynamische Mono-Version als auch die vergleichsweise dünn klingende Stereo-Fassung, dazu die Singles des Jahres 1968 wie das geniale "Days". Auf der dritten Scheibe finden sich schließlich Raritäten, die die überbordende Kreativität von Ray Davies in dieser Zeit dokumentieren. Der größte Schatz ist wohl das fürs Fernsehen geschriebene "Where Did My Spring Go".

Das Fernsehen spielte auch eine wichtige Rolle für die Entstehung des nächsten Kinks-Albums "Arthur Or The Decline And Fall Of The British Empire". Ein englischer Fernsehsender wollte die Geschichte des Schwagers von Ray und Dave Davies, Arthur Anning, verfilmen. Arthur war mit seiner Ehefrau Rose, Rays und Daves älterer Schwester, nach Australien ausgewandert, woraufhin Ray das in Teil 1 erwähnte Lied "Rosie Won't You Please Come Home" schrieb. Der Fernsehfilm kam nie zustande – das Album hingegen schon. Obwohl es ebenso ein Meisterwerk ist wie "Village Green", unterscheidet sich Arthur stark von seinem Vorgänger. Musikalisch ist es rockiger, lauter, besitzt nicht die feine Eleganz des Vorgänger, sondern kommt trotz aufwändiger Produktionsideen roh und ungeschliffen daher.

Der größte Unterschied findet sich jedoch in der Stimmung. Weitgehend verschwunden ist die zärtliche Melancholie von "Village Green". An ihrer Stelle finden sich Trauer, Enttäuschung, ja sogar Wut und Ärger, die Ray Davies in bissig-sarkastische Texte verpackt. Arthur ist in weiten Teilen eine scharfe Anklage gegen die Generation seiner Eltern, insbesondere deren Ambitionen und Lebensstil.

Geradezu genüsslich seziert er die guten alten Zeiten des British Empire ("Victoria"), gesellschaftliche Hierarchien ("Yes Sir, No Sir", "Brainwashed"), die Verheerungen des Militarismus ("Some Mothers Son") und – natürlich! – die Abgehobenheit und Arroganz der englischen Oberschicht ("Drivin'", "She Bought A Hat Like Princess Marina"), die er in nicht geringem Maß für den Niedergang des Landes verantwortlich macht.

Was nützt es, wenn die Oberschicht ihr repräsentatives Leben genießt, während viele Menschen in Armut leben? Vor solchen Realitäten verblasst selbst "Britain's finest hour", der Kampf gegen Nazi-Deutschland im 2. Weltkrieg ("Mr. Churchill Says"). Angesichts dieser Differenzen haben sich Eltern und Kinder schlichtweg nichts mehr zu sagen ("Nothing To Say"), so unterschiedlich sind die Welten, in denen sie leben.

Selbst die Familiengeschichte, die dem Album zugrunde liegt, wird aber auf Arthur nicht mit Wohlwollen, sondern mit bitterem Sarkasmus kommentiert. Ray Davies satirisiert die durch hemmungslose Propaganda hervorgebrachte maßlose Erwartungshaltung an das Leben in Australien ("Australia"). Anstatt ein besseres Leben zu finden hat Arthur nur scheinbares Glück gefunden; sein materieller Wohlstand verschleiert aber nur, dass Arthur sein austauschbares Leben in einem goldenen Gefängnis verbringt ("Shangri-La").

Im Titelstück "Arthur" schließlich fordert Ray Davies seine Generation auf, nicht so zu enden wie die Eltern, die trotz ihrer Bemühungen kaum vorangekommen sind und von der Welt überholt wurden. Davies sympathisiert mit Arthur und seinem Versuch, ein bequemes, harmonisches Leben zu führen, aber er erklärt auch, dass das niemals funktionieren wird.

Die wirklich Mächtigen in der Gesellschaft halten die Fäden in der Hand und der "kleine Mann" wie Arthur kann sich ihnen nicht erwehren. Am Ende prophezeit Davies Arthur nur zerstörte Träume, vergebliche Hoffnungen und am schlimmsten: ein Shangri-La. Das Besondere an dieser pessimistischen Weltsicht ist, dass es keinen erkennbaren Ausweg gibt, sobald die Erkenntnis – "the world's gone and passed you by" – eingetreten ist: "You can cry all night, but it won't make it alright".

So entrückt von der Welt und versponnen "Village Green" in manchen Momenten scheint, so bitter und unversöhnlich ist der Realismus auf "Arthur". Das zweite Kinks-Meisterwerk in Folge besticht durch seine Kompromisslosigkeit, aber auch durch musikalische Kreativität, vor allem auf dem zentralen Lied des Albums, "Shangri-La", aufgrund seiner ausgefeilten Dramaturgie vielleicht die beste Komposition der Kinks.

Die 2-CD Deluxe-Edition enthält die Mono- und Stereo-Fassungen, wobei die Stereo-Version das vollere Klangspektrum bietet und die vielfältige Produktion besser zur Geltung kommen lässt. Der Mono-Mix enthält zudem einen störenden Bandfehler bei Shangri-La, der wohl auf dem Originalmaster bereits enthalten war. Außerdem enthalten sind eine Handvoll BBC-Sessions in guter Klangqualität, die exzellenten Singles des Jahres 1969, vor allem "Plastic Man" und die hervorragenden Dave Davies-Songs "This Man He Weeps Tonight", "Mindless Child Of Motherhood" (aufgenommen für ein unveröffentlicht gebliebenes Soloalbum) sowie zusätzlich die Dave Davies-Single "Lincoln County", die auf den 1998er/2004er-Ausgaben nicht vertreten war.

In Gestaltung, Zusammenstellung und Klang sind die neuen Deluxe-Editionen der Kinks-Alben hervorragend, so dass sie jedem Fan empfohlen werden können. Nach vierzig Jahren hat die Faszination, die von diesen Alben ausgeht, nicht nachgelassen und bietet jedem, der sich auf diese Entdeckungsreise begeben will, ein Fülle an unvergesslicher Musik.

Wertungen:

The Kinks Are The Village Green Preservation Society (Deluxe Edition) +++++

Arthur Or The Decline And Fall Of The British Empire (Deluxe Edition) +++++

Alles zum Thema:

the kinks