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Peter Gabriel (live in Mannheim, 2010) © René Peschel

Mit "Scratch My Back", das ausschließlich Coverversionen enthält, hat Peter Gabriel ein Album mit Höhen und Tiefen veröffentlicht. Dieser Eindruck bestätigte sich bei seinem Auftritt in der Mannheimer SAP-Arena – jedenfalls bis zum Ende des ersten Teils seines über dreistündigen Konzertes: Begleitet vom imposanten New Blood Orchestra konnte Peter Gabriel schließlich doch noch die Zuschauer in seinen Bann ziehen.

Es ist auf die Minute genau 8 Uhr abends und Peter Gabriel steht bereits auf der Bühne, in der Hand einen Zettel. In gutem Deutsch erklärt er dem Publikum den Ablauf des Konzerts. Er spricht sein Publikum fast immer in der jeweiligen Landessprache an, es erschienen sogar zwei seiner Alben, Peter Gabriel (III Melt) und Peter Gabriel (IV Security) auf Deutsch, die heute beinahe vergessen sind. Eines der vielen kleinen Details, die einem den Menschen hinter dem Künstler etwas näher bringen.

Ein anderes Detail ist sein Engagement für die Menschenrechte und besonders für die Organisation Witness, für die ein Trailer vor Beginn des Abends über die Videoleinwände läuft. Was nun folgt, ist ein zweigeteiltes Konzert: Im ersten Teil wird die aktuelle Platte Scratch My Back gespielt, auf der Gabriel Stücke anderer Künstler mit einem Orchester neu interpretiert. Dabei hält man sich an die Reihenfolge der Platte. Gabriel begründet das mit dem Grundgedanken einer Geschichte, die er mit den zwölf Titeln erzählen möchte. Worum es in dieser Geschichte geht, verrät er nicht, es bleibt ganz dem Hörer überlassen.

Unterschiedliche Qualität

So leitet auch Heroes, im Original von David Bowie, das Konzert ein. Die Videoleinwand, die zuvor die beiden roten Blutkörperchen des Artworks von Scratch My Back zeigte, wird durchsichtig und gibt den Blick auf das New Blood Orchestra frei, Peter Gabriels knapp 50-köpfiges Orchester für diesen Abend. Nach Heroes werden zusammen mit Mirrorball und Flume die ersten Highlights gespielt. Peter Gabriel wirkt anfangs, als sei er noch nicht ganz da, seine Gesten wirken gestelzt.

Die nun folgenden Songs, Listening Wind und The Power of the Heart, sind nicht nur auf Platte relativ langatmig, auch live geben sie nicht viel her. Das empfindet auch das Publikum, das hörbar unruhiger wird. Erst als dann beim folgenden My Body Is a Cage, das im Original von Arcade Fire stammt, der Song lauter wird, vor allem dank dramatischen Streichern und Gabriels Gesang, fesselt das Konzert die Zuschauer wieder.

Nicht alles gelingt

Nach diesem Aufbruch folgt das wunderschöne The Book of Love. Ob man den Song in einer Reihe mit großen Coverversionen wie Hurt von Johnny Cash oder Hallelujah von Jeff Buckley sehen möchte, sei einmal dahingestellt. Live versucht Peter Gabriel auf jeden Fall, der ganzen Sache etwas von der Ernsthaftigkeit zu nehmen. Auf der Leinwand tanzen Strichmännchen mit dem Kopf von Gabriel und überhaupt wird der Song visuell wie ein einfaches Daumenkino inszeniert. Gabriels folgende Version von Newmans I Think It's Going to Rain Today bleibt live, wie auch auf Platte, ein einfaches Klavierstück, ganz im Gegensatz zum Original, das mit Streichern arbeitet. Dadurch verliert es aber auch an Reiz, obwohl Gabriels Idee dahinter wohl war, dem Text mehr Gewicht zu geben.

Regina Spektors Après moi wird ein noch bedrückenderes, aber genauso treibendes Spektakel wie im Original – auch wenn der russische Teil des Textes fehlt, was für alle Beteiligten wohl auch besser ist, um Peinlichkeiten zu vermeiden. Street Spirit (Fade Out) verliert live leider an Geschmack und langweilt sogar. Auf Platte klingt der Song zwar gleich, macht aber trotzdem Spaß. Hier in Mannheim will der Funke nicht überspringen. Vielleicht auch, weil die Sitznachbarn bereits von der kommenden Pause reden, die jetzt folgt.

Es folgen die Klassiker

Nach der kurzen Unterbrechung widmen sich Peter Gabriel und das New Blood Orchestra im zweiten Teil des Konzerts der Interpretation Gabriels älterer Werke. Los geht es daher auch gleich mit einem Stück aus dem 1982 veröffentlichten Peter Gabriel (IV Security): San Jacinto. Im Hintergrund erscheinen riesige Masken und gegen Ende benutzt Gabriel einen Handspiegel, um einen Scheinwerferstrahl ins Publikum umzulenken. Bei Digging in the Dirt kriechen riesige Maden auf der Videoleinwand umher. Der Song ist mit Orchester nicht mehr so funky wie das 1992 erschienene Original, spätestens beim Refrain ist die Halle aber begeistert: "This time you've gone too far, I told you!".

Signal to Noise wird von Gabriel wieder auf Deutsch angekündigt: "Es gibt eine Solaranlage in Frankreich, in den Pyrenäen, die aus tausenden kleinen Spiegeln besteht, die das Licht auf einen Punkt lenken. Mit dieser Anlage kann Stahl geschmolzen werden. Bald kann auf der gesamten Erdoberfläche jeder Mensch mit jedem kommunizieren. Wenn wir dank dieser Möglichkeit alle unsere Kraft so bündeln wie diese Spiegel, können wir die Welt verändern. Darum geht es in Signal to Noise". Der Song selbst wird darauf in wenigen Minuten sehr dramatisch, das Orchester scheint beinahe zu explodieren und macht aus den elektronischen Effekten des Originals ein Paukengewitter.

Tolle Stimmung

Mercy Street, aus dem Album So stammend, verwandelt sich mit der Unterstützung des Orchesters in ein ganz anderes Stück. Die bedrückende Stimmung des Originals geht leider verloren, der Song lebt eigentlich von den 80er-Jahre-Soundeffekten, dieser Kälte der Instrumente. Wenn aber die beiden Sängerinnen, die Gabriel unterstützen, singen: "Dreaming of mercy / In your daddy's arms again", bekommt man trotzdem Gänsehaut. Der Song ist der Dichterin Anne Sexton gewidmet, worauf Peter Gabriel auch explizit vor dem Song noch einmal hinweist.

Immer weiter geht es mit der Hitspirale: Washing of the Water aus dem Album Us und Intruder von Peter Gabriel (III Melt) folgen. Gerade Intruder wirkt durch das Orchester fast verstörend. Das elektronische Element fehlt hier nicht, der Song entwickelt sich zu etwas Neuem. Red Rain vom Album So folgt, schließlich natürlich Solsbury Hill. Bezeichnenderweise verzichtet Gabriel hier fast auf das Orchester, es spielt nur eine kleine leise Hintergrundrolle – das Lied wird, ähnlich wie I Think It's Going to Rain Today am Anfang, nur vom Klavier getragen. Die Halle kann sich nicht mehr halten, alle stehen von ihren Sitzen auf und tanzen.

Eine kleine Verschnaufpause folgt, schließlich wird noch In Your Eyes und Don't Give Up gespielt. Den Part von Kate Bush übernimmt Ane Brun, die bereits vor Beginn des Hauptkonzerts zwei Lieder sang und später als Backgroundsängerin dazukam. Damit nach diesem tollen Abend jeder mit einer schönen Stimmung entlassen wird, spielt das Orchester am Ende noch das Instrumental The Nest That Sailed the Sky vom Album Ovo, das im Jahr 2000 der Soundtrack zur Millenium Dome Show in London war. Damit wird auch der zweite Teil des Konzert beschlossen, der aber im Gegensatz zum ersten kaum Kritik verdient. Als so nach drei Stunden ein schöner Abend zu Ende geht, strömen die Massen aus der Halle. Draußen regnet es.

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Setliste

Heroes (David Bowie Cover) | The Boy in the Bubble (Paul Simon Cover) | Mirrorball (Elbow Cover) | Flume (Bon Iver Cover) | Listening Wind (Talking Heads Cover) | The Power of the Heart (Lou Reed Cover) | My Body Is a Cage (Arcade Fire Cover) | The Book of Love (The Magnetic Fields Cover) | I Think It's Going to Rain Today (Randy Newman Cover) | Après moi (Regina Spektor Cover) | Philadelphia (Neil Young Cover) | Street Spirit (Fade Out) (Radiohead Cover) | Pause | San Jacinto | Digging In The Dirt Play | The Drop | Signal To Noise Play | Downside Up | Mercy Street | The Rhythm of the Heat | Washing of the Water | Intruder | Red Rain | Solsbury Hill | In Your Eyes | Don't Give Up | The Nest That Sailed the Sky

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