Unheilig (live beim SWR3 New Pop Festival Special, 2010)

Unheilig (live beim SWR3 New Pop Festival Special, 2010) © René Peschel

Seit 1994 lädt der SWR3 alljährlich nach Baden-Baden zum New Pop Festival und verwandelt dadurch den mondänen Kurort in eine Bühne für aktuelle Popmusik. Die Stadt nutzt die Gelegenheit, um sich als "New Pop City" selbst zu feiern und sich Besuchern aus nah und fern von einer ganz ungewohnten, jugendlichen Seite zu präsentieren.

{image}Beeindruckend für den Zuschauer sind zunächst die stilvollen Veranstaltungsorte, wie das Festspielhaus, das Kurhaus und vor allem das wunderschöne Theater. Das Festival überzeugt durch die hervorragende Organisation und die Einbeziehung der Baden-Badener Innenstadt, die der dreitägigen Veranstaltung eine besondere Atmosphäre verleiht. Als Organisator lässt sich der SWR nicht lumpen und bietet modernste Technik auf, um die Künstler und das Publikum richtig in Szene zu setzen. Angefeuert und eingestimmt von SWR3-Moderatorin Anneta Politi zeigt das Publikum nicht die häufig anzutreffende abwartende Haltung, sondern bejubelt die Künstler von Beginn an euphorisch, wohl auch aufgrund des Bewusstseins, verschiedentlich im Fernsehen zu sein.

{image}Zu den mit allergrößter Begeisterung empfangenen Künstlern zählt das englische Duo Hurts, das mit Wonderful Life eine der prägenden Singles des Popjahres veröffentlicht hat. Wonderful Life erweist sich auch im Konzert als ein Song für die Ewigkeit, gegen den die übrigen Lieder doch teilweise deutlich abfallen. Der bevorzugte musikalische Ausdruck von Theo Hutchcraft und Adam Anderson ist das Drama, die Emphase, alles ist gigantisch und bombastisch, die Keyboard-Sounds genauso wie der Gesang und die Hall- bzw. Chor-Effekte. Die geballte Emotionalität der Musik steht in auffallendem Gegensatz zur strengen Kleiderordnung der Musiker – die ausschließlich schwarze Anzüge tragen – und zum statischen Bühnenbild, das Bewegung nur ausnahmsweise vorsieht. Schon das kurze, lediglich fünfundvierzigminütige Konzert wirft allerdings die Frage auf, inwiefern dieses Konzept auf Dauer trägt: Eine Band, die stets am emotionalen Anschlag spielt, riskiert, sich schnell zu verbrauchen und ihr Publikum zu langweilen, nachdem die ursprüngliche Begeisterung verflogen ist.

Vielleicht ist es kein Zufall, dass der deutschen Band Unheilig, die mit ganz ähnlichen Methoden arbeitet, in diesem Jahr ebenfalls großer Erfolg beschieden ist. Unheilig stehen zwar nicht in der Tradition der 80er-Popmusik wie Hurts, sondern in der des deutschen Goth-Pop, aber auch ihre Musik lebt vom emotionalem Bombast und Gigantismus. Zu allem Überfluss behandelt ihr großer Hit Geboren um zu leben auch noch ein ähnliches Thema, nämlich den Tod und den Wert des Lebens. Welcher der beiden Songs überlegener ist, darf jeder für sich selbst entscheiden. Dennoch treffen beide Lieder offensichtlich den musikalischen Nerv des Publikums im Jahr 2010.

{image}Unheilig spielen allerdings kein vollständiges Konzert, sondern treten im Rahmen des von Stefanie Tücking moderierten SWR3 New Pop Specials auf, das jedem Künstler lediglich Zeit für drei Lieder einräumt. Trotz zahlreicher Umbaupausen und der schieren Dauer von drei Stunden ist die Stimmung bemerkenswert gut und lebendig. Wie nicht anders zu erwarten, sind die musikalischen Darbietungen von sehr unterschiedlicher Qualität. Brandon Flowers, Leadsänger der Killers, befindet sich augenblicklich auf einem absoluten musikalischen Tiefpunkt. Nach drei missglückten Liedern und vergleichsweise spärlichem Applaus schleicht er wie ein geprügelter Hund von der Bühne. Sein Auftritt war fraglos die Enttäuschung des Abends. Lena hingegen gelingt es wiederum, das Publikum mit ihrem Charme zu verzaubern. Neben dem jetzt schon unsterblichen Satellite und dem ordentlichen Touch A New Day singt sie mit Love Me allerdings auch ein eher schwaches Lied. Für die beste Stimmung des Abends sorgt die norwegische Hip-Hop Band Madcon, der es gelingt, die Zuschauer mit mieser Musik, aber viel Willen zu Schabernack und Party zum Mitmachen zu animieren.

Nicht alles am New Pop Festival ist großartig oder erwähnenswert, aber insgesamt lohnt sich doch ein Ausflug nach Baden-Baden, um die Atmosphäre vor Ort zu genießen und junge Künstler bei ihren ersten Gehversuchen vor einem großen und sehr begeisterungsfähigen Publikum zu erleben.

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{image}Fotogalerien: Das SWR3 New Pop Festival 2010 in Baden-Baden:

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