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Alec Empire (im Interview auf der all2gethernow Berlin, 2010) © Nicole Richwald

Frontman Alec Empire der in den 90ern aktiven avantgardistischen Electro-Punk-Band Atari Teenage Riot im Interview auf der all2gethernow im Rahmen der Berlin Music Week. Alec sprach dabei über die 90er, das Internet, die Musikindustrie, Quellen die versiegen, gerechte Entlohnung für Musiker und die Rückkehr von Atari Teenage Riot.

{image}Atari Teenage Riot waren in den 90er bekannt für ihre Verknüpfung links-anarchistischer Parolen mit der damals aufkommenden Technoszene. Zum Eklat kam es am 1. Mai 1999, als die damals bereits ausgebrannte Band im Zuge der Mai-Demonstrationen zu Protesten gegen die damalige Kosovo-Bombardierung aufrief. Kurz darauf folgte die Bandauflösung und der Tod des Bandmitglieds Carl Crack wegen übermäßigem Drogenkosums. Mit dem neuen ATR-Song Activate wird 2010 nicht nur die Band, sondern auch das Label und Namensgeber der Szene "Digital Hardcore Recordings" wiederbelebt. Ihr erstes Konzert in Berlin gaben die neuformierten Atari Teenage Riot auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof im Rahmen der Berlin Music Week. ATR stehen nun als Trio auf der Bühne. Aus der ursprünglichen Formation sind Alec Empire und die Japanerin Nic Endo geblieben. Neu auf der Bühne ist MC CX Kidtronik, während Gründungsmitglied Hanin Elias fern bleibt.

Alec Empire im Interview auf der all2gethernow

Anm.d.Red.: Das hier abgedruckte Interview wurde im Vergleich zum Originalgespräch leicht gekürzt.

{image}Interviewerin: Ich meine zu wissen, dass heute der erste Gig von Atari Teenage Riot in Berlin ist, seit dem 1.Mai 1999. Ist das richtig?

Alec: Ja, stimmt.

Interviewerin: Seitdem hat sich die Musikindustrie ziemlich auf den Kopf gestellt. Wenn du jetzt 10 Jahre zurückblickst: Wie hat das Internet als Medium dein Leben als Künstler verändert?

Alec: Naja, wir haben auch damals immer schon Strategien angewendet, die heute viele Bands – gerade neue Bands – auch anwenden. Dass wir damals unser eigenes Label gegründet haben und dadurch alles selbst kontrollieren konnten. Ich fühle mich eigentlich ein bisschen, als ob mich die Zeit eingeholt hätte. Früher hätte man eher gesagt, die sind ja wahnsinnig, das kann ja gar nicht funktionieren und so weiter. Was ich natürlich super finde am Internet und was direkt mit meiner Musik zu tun hat, das ist die Möglichkeit mit den Leuten direkt und schnell in Verbindung treten zu können. Damals hatte man das Problem…; z.B. haben wir ja ziemlich viele politische Texte, da kamen dann aus dem Kontext gerissen viele Sachen falsch in die Presse. Das kann man durch das Internet viel schneller aufklären. Das finde ich sehr gut. So kann man viel mehr vermitteln und wird nicht nur für so ein Medienimage inszeniert.

{image}Interviewerin: Du nutzt ja auch viele Mediatools. Du hast ein Blog und eine Facebookseite und twitterst. Zu dem Thema gab es hier eine Menge Diskussionsrunden darüber, wie Musiker diese Sachen nutzen können und wieviel man von sich Preis gibt und geben sollte, um Beziehungen zu Fans überhaupt aufbauen zu können. Hast du das Gefühl, du kannst das auch wirklich nutzen?

Alec: Ja, also ich sehe das als Tool mit dem man Leute schnell updaten kann und viel schneller Informationen vermitteln kann. Man sollte aber auch nicht zu viel Gewicht auf solche Sachen legen. Aber es ist natürlich praktisch. Wenn wir z.B. heute hier spielen, können wir durch solche Medien vielleicht auch eher Leute erreichen, welche die Musikpresse nicht immer erreicht. Es gibt viele Leute die es gar nicht mehr interessiert was geschrieben wird, weil das natürlich auch viel von Anzeigen bestimmt wird, die in den Magazinen die Werbung schalten. Die Menschen sehen das geradezu als korrupt an und lesen das einfach nicht mehr. Dafür sind natürlich solche Tools praktisch, da man nicht immer durch diese Geldgeber durchgehen muss. Die oftmals denken sie wüssten wo der Zug hinfährt, aber eben in vielen Fällen eben völlig daneben liegen. Das kann nicht sein, dass den Leuten, die neue Musik hören entdecken wollen, dass es denen vorenthalten wird durch die Medien, die die Macht haben. Dafür ist das Internet super.

Interviewerin: Würdest du auch sagen, dass nicht nur der Musiker einen direkteren Zugang zum Internet, sondern auch der Fan mehr Stimme bekommen hat? Bindet ihre eure Fans durch diese Medien direkter ein in das, was ihr macht?

{image}Alec: Das ist schwer zu sagen. In Deutschland wird Kunst immer sehr vorgesetzt. Also es ist weniger demokratisch als z.B. in England. Dass "Wetten, das!" Samstags läuft und dann die Charts in der nächsten Woche bestimmt – solche Strukturen, das gab's halt in der Form in England nicht. Dort bewegte sich alles viel schneller. Das war meine Erfahrung, als ich Mitte der 90er nach England ging. Das Gerede über eine Kultur-"Diktatur" finde ich aber ein bisschen übertrieben, weil letztenendes sind das ja Firmen und die wollen alle was verkaufen. Manche wurden einfach zu mächtig, oder gingen aus anderen Firmen hervor, die eigentlich ganz andere Produkte verkauft haben. Z.B. Sony, da ging's immer nur darum Inhalte für die Hardware zu haben. Damit man die verkaufen kann. Die Menschen draußen glauben immer dieses ganze Kasperletheater. Wie Preisverleihungen und wer läuft tagsüber im Radio oder im Fernsehen und setzen das gleich mit Erfolg. Sie wollen sich dem anpassen, um nicht den Bezug zur Masse zu verlieren und am Ende nicht alleine dazustehen. Ich glaube Pop hat im letzten Jahrhundert so funktioniert. Also dieser Herdentrieb: "oh gott, jetzt finden alle das gut, was mach ich jetzt?" Da finden sich viele Beispiele, ob das jetzt die Generation unserer Eltern ist mit den Beatles oder Punks oder alles Mögliche. Es bekommt dann diese Dynamik. Die Industrie versucht, das dann ins Rollen zu bekommen. Nur dadurch enstehen dann diese Blasen. Ich vergleich das gerade ein bischen mit der Börse. Sie versuchen dann, das hochzuschaukeln. So viele Leute wie nur möglich zu einem bestimmten Punkt zu beeindrucken. Dabei zerplatzen viele Blasen, ein bis zwei kommen dann vielleicht zum Erfolg. Ich finde dabei geht unglaublich viel Geld verloren. Das ist eigentlich eine falsche Strategie, meiner Meinung nach.

Interviewerin: Da gibt’s zwei Lager. Die einen sagen, durch das Internet gebe es viel mehr Auswahl. Die anderen sagen, das Ganze zersplittert sich viel mehr. Mehr Subgenres, und viel mehr Freiheit zu konsumieren. Auf der anderen Seite sieht man dann das Phänomen Pop, z.B. Lady Gaga. Die Tatsache, dass die Konsumenten freier aussuchen können, das hat am Popmarkt nicht viel geändert.

{image}Alec: Der Popmarkt an sich schrumpft immer weiter. Ich find das gut. Ich glaube daran, dass die meisten Leute eigentlich gar nicht wissen, welche Musik sie wirklich gut finden. Wir verspielen dadurch ziemlich viel Potenzial. Nehmen wir mal den Vergleich Sport und Musik. Wenn man sich überlegt wieviele Menschen heute hier sind: 15.000 Menschen – das ist eine ziemlich große Veranstaltung für Berlin im Bereich Musik. Da müssen eine Menge Bands aufgefahren werden, damit so viele Leute kommen. Wenn ein Fußballspiel ist, ist das eigentlich ziemlich egal. Leute werden dieses Jahrhundert Musik entdecken, die völlig jenseits von Pop ist. Es gibt so konservative Leute in der Industrie, die haben mich schon immer genervt. Alles bewegt sich in diesem Kreis. Wer heute noch so denkt und darauf hofft, dass die Vergangenheit immer mal wieder zurückkehrt in Form von 4 Jungs, die auf der Bühne stehen und Gitarrenmusik machen oder was auch immer, der versteht unsere Zeit gar nicht mehr.

Interviewerin: Deine Musik ist jenseits von Pop und Mainstream. Du warst immer sehr experimentell und innovativ. Du hast dein Ding durchgezogen. Wann war dann der Punkt, an dem du festgestellt hast "ich kann davon meinen Lebensunterhalt verdienen und eine Zukunft daraus machen"?

Alec: Nee, nee, das war ja gerade der Witz. Viele denken immer ich bin so ein Idealist, der von Luft und Liebe lebt. Also ich habe immer schon Geld mit meiner Musik verdient. Das muss jetzt nicht jedes Projekt gewesen sein. Aber wenn man es im Ganzen sieht, als ich angefangen habe – im Techno Underground – da ging es darum Platten zu machen für DJs und so schnell wie möglich rauszuhauen. Fünf bis 10.000 davon zu verkaufen, das Geld zu nehmen und weiter zu machen. Eine Maxi war ja kein Album. Man sitzt dann im Studio und denkt, wenn ich an einem Tag so eine Platte mache, warum mache ich denn nicht 2 pro Woche? Das waren natürlich auch goldene Zeiten. Da würde man mit manchen Verkaufszahlen heute sofort in die Charts einsteigen. Ich habe mich immer gewundert, wie einfach das geht, mit einer Musik die keine große Promotion hatte. Aber es war natürlich auch im Zuge der Techno-Szene, die immer populärer wurde, ein ganz alternativer Markt. In England wurden extrem viele White Labels verkauft. Niemand wusste genau wer stand da jetzt drauf und wer hat das gemacht. Das ist vielleicht vergleichbar mit der Zeit heute. Bloß, dass halt die Musiker eigentlich eine ganze Menge Geld bekommen haben für das, was da gemacht wurde. Ich erinnere mich an Situationen bei denen wir gesagt haben, wir gehen jetzt in einer Stunde ins Kino, der Film fängt noch nicht an. Lass uns schnell noch eine Platte machen. Haben das auf Dub-Kassetten aufgenommen und sind damit ins Label gefahren. Die haben uns 5.000.- DM auf den Tisch geknallt und ja, wir machten gar kein Vertrag; "verkauft das einfach". So dekadente Sachen gab es halt. Das kann man auf heute nicht beziehen. Viele, die heute noch was alternatives machen, kommen aus dieser Zeit. Die Leute, die sich dann keine teuren Autos oder so etwas gekauft hatten, konnten eine Plattform aufbauen für sich, und diese als Künstler auch selbst kontrollieren. Ich glaube die meisten Indielabels, die heute noch interessanten, sind aus dieser Zeit hervorgegangen und eben auch viele Künstler.

Wenn mir Leute kommen mit Piratebay und Creative Commons und so weiter... Bloß, wenn die Quelle versiegt, dann können neue Musiker natürlich nicht weitermachen. Wenn ich von mir ausgehe, finde ich, man braucht eine gewisse Zeit um erstmal dahin zu kommmen, was man eigentlich wirklich machen will. Was Leute auch gut finden. Also wenn sich Leute heute angucken, was habe ich in den 90ern überhaupt produziert hab, dann sagen die: "also Alec, ganz ehrlich, die ersten 20 Sachen waren zwar ganz gut und lustig, aber..." (lacht). Es gibt natürlich auch Leute, die finden das viel besser. Es ist natürlich gut, wenn man eine Idee hat, die man weiterverfolgen kann. Leute, die dann beschissene Jobs machen müssen, kommen an nie diesen Punkt. Und Musikfans wollen natürlich die bestmögliche Musik.

{image}Interviewerin: Das war eines der viel diskutierten Themen: Creative Commons, Gema – aus Künstlerperspektive und aus Buisnessperspektive. Das ganze Thema "Musik kostenlos" und "Geld verdienen über Packaging und mit Live-Auftritten", da bist du also kein Fan von?

Alec: Ich kenne diese Meinungen. Die haben ja auch viele aus meiner Szene. Ich finde das Hauptproblem an dieser Denkweise ist, dass die Menschen immer versuchen eine Lösung für Alle zu finden. Was Britney Spears macht muss auch für den Indiemusiker gelten. Dann kommen Radiohead und verschenken ihr Album, Trent Resznor twittert und alle sagen zu jedem, der eine andere Meinung hat: "Ey hast du das nicht gelesen...". That what? In einer Zeit der Wirtschaftskrise, in der alle Angst haben und nicht wissen wo sie hinsollen kommen immer diese Versprechungen, die einfach nicht für die Mehrheit der Leute funktionieren. Ich hab das immer so gesehen. Wir haben auch immer schon vor MP3 Sachen umsonst weggegeben. Machen wir uns nichts vor, das ist alles Marketing. Wenn man will, dass eine Idee direkt zu den Leuten kommt: Man gibt es umsonst, klar geht’s dann schneller. Wir haben in den 90ern schon Sachen gemacht, wo das Packaging sehr teuer war. Wir haben trotzdem gut Geld rausbekommen. Ich erinnere mich, dass die Japaner immer sehr weit voraus waren, was das Packaging anging. Die japanische Pressung zu kaufen fand ich als Musik-Fan immer super. Was ich aber am allerwenigsten mag ist, wenn Fans, die die die ganze Zeit Musik runterladen, Musikern erklären wollen was für sie am Besten ist. Musikfans sollten sich abgewöhnen zu bewerten was kreative Arbeit ist und woran sie gemessen wird.

Wir sehen das bei jedem Konzert: "Ich mag die Musik nicht, aber die können wenigstens noch ihre Instrumente spielen oder die kann ja richtig singen." Diese Menschen haben ein Problem damit zu bewerten, was ich jetzt leiste, wofür sie dann zahlen sollen. Das muss jetzt neu diskutiert werden. Man sieht es ja im Internet: Jeder macht irgendwas, stellt seine Sachen rein (lacht) und wird eigentlich nur zur Nummer im Telefonbuch. Wenn ich jetzt irgendwie die Liebe meines Lebens finden will, und das Telefonbuch aufschlage und jede Nummer mal anschaue, werde ich wahrscheinlich nicht fündig werden. Das sollen die Leute auch ein bisschen bedenken. Deswegen mag ich auch einfach Leute nicht, die so einfache Lösungswege in den Raum stellen.

Ich find es auch nicht überraschend, dass NIN nicht mehr so viel Touren. Die Musiker werden demotiviert, wenn sie das Gefühl haben beklaut zu werden. Das passiert einfach, dieses Gefühl kommt bei Musikern einfach auf, da kann man diskutieren wie man will. Man kann sagen, "ok ich stell das freiwillig ins Netz" und sagt: "hier ist ein Geschenk". Das ist super, ja. Aber ich habe schon oft von befreundeten Musikern gehört, die dann Mails bekommen: "hehe, ich hab jetzt doch deine Platte runtergeladen." Also woher kommt eigentlich diese feindselige Haltung kreativen Leuten gegenüber?

{image}Interviewerin: Meinst du, dass es ein Mangel an Wertschätzung für Musik gibt, oder dass es einfach das andere Konsumverhalten ist?

Alec: Das ist auch eine moralische Frage, die diskutiert werden muss. Man kann hier nicht die ganze Zeit mit Marketing-Mechanismen arbeiten. Es geht dabei auch um Respekt. Ich bin der Letzte, der sagt Downloader müssen verklagt werden. Ich downloade soviel ich kann, ich bin Musiker, ich darf das. Ich bin auch der Meinung ich müsste Essen umsonst bekommen. Die Leute müssen einen neuen Bezug zu dem Wert der Musik bekommen. Ich sag auch gleich, ich finde das ist sehr unterschiedlich. Ich habe nie verstanden, warum ich meine CDs zum gleichen Preis wie die Pussy Cat Dolls verkaufen muss? Das habe ich nie verstanden.

Interviewerin: Was war denn der Auslöser, dass ihr jetzt wieder auftretet?

Alec: Manche denken, das sei ein Masterplan. Dem war aber nicht so. Wir hatten gesagt ok, wir spielen eine Show in London im Mai 2010. Denn bei unserem Hauptkonzert im Mai 1999 war die Band total ausgebrandt und am Ende – wir hatten nie das Konzert gespielt, was wir eigentlich hätten spielen wollen. Wir hatten immer das Gefühl, wir müssten die Show nochmal richtig machen. Es war eigentlich sehr überraschend, dass dann so positives Feedback kam. Im Moment machen wir es gerade so, dass wir sehr kurzfristig denken und Entscheidungen treffen. Dann kann es sein, dass wir morgen sagen, das wird jetzt langweilig, das ist keine Herrausforderung mehr oder wir hängen noch ein paar Sachen dran. Vielleicht ist das auch eine Denkweise die mir gerade relativ gut gefällt. Man kann sich relativ schnell bewegen. Man braucht kein Release 6 Monate zuvor. Vieles ist mit Atari Teenage Riot auch anders, man kann es anders machen. Das sind die Chancen.

Interviewerin: Danke Alec!