Atmosphäre (Splash Festival 2010, Gräfenhainichen)

Atmosphäre (Splash Festival 2010, Gräfenhainichen) © Hannes Mezger

Tag 1: Anschnallen, Autobahn, Aussteigen, Zeltplatz. Auspacken, Aufbauen, Einsteigen, Shuttlebus. Blick hier, Blick da, Türen auf, Splash: Eine dreitägige Parallelwelt eröffnet sich dem angereisten Rap-Fan, der voller Erwartung und Anspannung als allererstes die Kontrolle über seine Sinne zurückgewinnen muss. Aber welcher Fan schafft das schon bei einer Kulisse, die ihm alles Wünschenswerte bietet sobald er das Festivalgelände auch nur betreten hat? Kein einziger. Und das wird sich drei Tage lang nicht ändern. Zum Glück!

{image}Links und rechts Bier und Wurst, vorne Breakdance, hinten Graffiti und überall ist HipHop. Das Gelände wirkt wie eine farbige, halluzinogene Realitätsinsel, die einen freien Platz hat für jeden, der dabei sein möchte. So kommen alle Arten Rapfans zusammen, die in ihrem gewöhnlichen Lebensraum mit anderen Arten meist weniger friedlich koexistieren. Nicht so auf dem Splash: 90er-Conscience-Rapper, 2010er-Funrapper, halbe Grime-Hemden, muskulöse Terrorsquad-Members streiten hier ausnahmsweise nicht darum, was Rap und was HipHop ist. Keine Frage. HipHop ist nämlich alles, was hier passiert.

{image}Ein geteerter Fußweg führt durch das (zum größten Teil) sehr sinnvoll aufgebaute Areal, so dass man problemlos in wenigen Minuten von Bühne zu Bühne springen kann und auch in den hintersten Reihen einen guten Blick zur Stage hat. Die ersten Eindrücke sind verarbeitet, die nächsten lassen nicht lange auf sich warten. Schlag auf Schlag ohne Gewalt. Der Opener des diesjährigen Festivals heißt am Freitag Nachmittag Snaga & Pillath. Erstaunlich viele Menschen (bei leider nur 5000 vorverkauften Karten) haben sich bereits auf dem Platz vor der Volcano Main Stage versammelt und freuen sich auf die Jungs ausm Pott, die einen gelungenen Auftakt liefern.

Bis zum nächsten Act, Tech N9ne, vergehen gut 25 Minuten in denen man sich gemütlich nochmal auf die Socken machen kann, um dann per Zufall den geübten Freestyler aus Großbritannien Dr. Syntax aus dem Foreign Beggars Umfeld auf einer kleinen Rampe Richtung See textend und lachend vorzufinden. Zurück auf der Hauptbühne. Ein raptechnisch hochklassiger Tech N9ne wütet mit den weißen Lettern WAR auf der Stirn und bringt die mittlerweile auf einige Leute mehr angewachsene Menge zum feiern. Neben einem Maschinengewehrflow auf einem Beat der nichts als Maschinengewehr ist, horcht die Masse besonders bei der zu I'M A Player umgedichteten Version von Falkos Rock Me Amadeus auf. Dem Künstler, der zum ersten Mal in Deutschland auftritt, gefällt sowohl Publikum, als auch die Area und das Drumherum sehr und er bekundet: "I'll come back next year!"

{image}Unterdessen beginnen die ersten Writer direkt neben der Hauptbühne mit ihren Bildern. Die Aufteilung und vor allem die Verbindung der Plätze an denen die unterschiedlichen Kunstarten betrieben werden, erzeugen die perfekte Stimmung unter den Interessierten. Tanzen, Sprühen, Rappen - Staunen, Strahlen, Klatschen. Olli Banjo betritt die Hauptbühne. Der Platz ist zu drei Vierteln gefüllt. Wie das Publikum von Olli Banjo erwartet, tobt er los mit einer mächtigen Energie und das Publikum ist bereits beim ersten Song am pogen. Einmal mehr stellt Olli Banjo seine Livequalitäten unter Beweis.

"Zicke Zacke, Zicke Zacke,/ ich hab eine dicke Knarre,/ deswegen laufen alle deutschen Rapper Zicke Zacke!/." Humor und Lockerheit finden über Fußballhymnenmelodien passende Verwendung und spätestens bei der Ansage zu Ich hab eine Pistole, du hast keine Pistole wird deutlich, dass der Umgang mit harten Texten am besten ein ironischer sein sollte. "Du mit dem Shirt 'ich hab ein Klappmesser' hast auf gar keinen Fall ein Klappmesser. Gibs doch zu!" Grinsender Banjo, lachende Menge. Nach Scheiße und Pervers, bei dem kein Arsch sauber blieb, einem nackten Herren in Obama-Maske, der mit einem grünen Monster in Banjos Kopf tanzte und dem Juice-Exclusive mit Hudson Mowhawke ist der Zeitpunkt zum endgültigen Durchdrehen endlich gekommen- die Wall of Death. Für den noch Unwissenden ist dies das kommandierte Zweiteilen einer Masse, die auf Signal wieder zusammenrauscht, um für einige Sekunden einen Zustand von Krieg zu simulieren. Olli Banjo packt selbst die Gitarre und haut die harten Riffs seines neuen Rockprojekts Mein Freund raus. Durchdrehen, durchdrehen und dann Raekwon. Was ein Programm.

War die Vorfreude allerdings zu groß, wurde man von Raekwons Auftritt einigermaßen enttäuscht. Vielleicht war es sogar abzusehen, dass das Programm eines Künstlers, der mit seiner Crew am Folgetag aufspielen soll und solo gebookt wird, etwas demotivierter abläuft. "I'm gonna take the 90's to 2010!" schallt es aus den Boxen und der Rapper des Wu-Tang-Clans legt auf C.R.E.A.M los. Neben dem Fakt dass Raekwon fast ausschließlich von den Wu-Tangs profitiert und die Songs "for Berlin" spielt, lässt er sogar einen kompletten Part von Method Man Playback laufen. Das braucht kein Mensch und ab der vierten Reihe wird die Resonanz geringer. Umso größer wird so allerdings die Vorfreude auf Kool Savas, der verdientermaßen einen sehr guten Slot im Programm besetzt. Bei ihm kann rückblickend in keinem Fall von Enttäuschung die Rede sein.

{image}Der erste Regen fällt. Später als gedacht, weniger als befürchtet. Dem hohen Erwartungsdruck von Seiten der Zuschauer, die Essah schon vor seinem Erscheinen einen ohrenbetäubenden "SAV" Empfang bereiten, hält der Berliner nicht nur Stand, sondern er übertrifft die Erwartungen. Herausragende Livequalitäten, ein beherrschtes Handwerk, entschieden gesetzte Akzente, 4 Gastauftritte von Olli Banjo und die Leute sind nicht zu halten. Savas versteht es, das Publikum durch das zu begeistern, um was es schlussendlich geht – soliden Liverap. 10 000 Fans gröhlen den Fäkal-Klassiker LMS mit und spätestens bei der Performance von Rap-Film, bei dem Kool Savas zum Pyrotechniker mutiert, weiß jeder, dass Liverap durch die beste und feinste Aufnahme nicht zu ersetzen ist. Das Finale des Gigs haben sich allerdings einige anders vorgestellt. Anstatt eines altbekannten Songs spielt er mit Banjo zusammen einen Mix aus Techno, Rock und Rap. Von Flammen umgeben. Mit Sitz-LaOla. Es wird trotzdem gefeiert.

Nebenbei sei erwähnt, dass der Host der ganzen Show, Madness, bisher nur für einen kurzen viertklassigen Rap, gesichtet wurde, um Acts ( wie es eigentlich seine Aufgabe sein sollte) anzukündigen. Schlechte Nummer. Schlechter Host. Schlechte Wahl. Selbst auf einer Realitätsinsel wie dem Splash!, der einen nahezu unerschöpflichen Reichtum an Eindrücken, Verschiedenartigkeiten, realisierten Träumen und Grotesk-Komischem bietet, wird der Fan durch solche Kleinigkeiten daran erinnert, dass nicht alles Gold ist, was rappt.

{image}Erster Headliner: Nas und Damian Marley. 30 Minuten Verspätung durch Soundcheck. Völlig egal. Sie sind da. Nach der für große Acts oft üblichen Verzögerung betreten Nas und Damian "r. Gong" Marley gemeinsam mit ihrer Band gut gelaunt die Bühne. Das erste Mal beim Splash 13 nimmt eine Live Band den Platz auf der Stage ein. Ein etwas reserviert erscheinender Damian Marley und ein überaus euphorischer Nasir Jones beginnen ihre Show ohne übermäßige Inszenierung. Beachtlich wird man nach dem anderthalbstündigen Auftritt den Fahnenschwinger finden, der keine Sekunde einen Gedanken daran verlor, das Schwenken der rotgelbgrünen Rasta-Flagge auch nur einen Augenblick zu unterlassen. Alle Achtung.

Die Erinnerung an den "Typ mit der Fahne" spricht allerdings nicht unbedingt für das Programm der zwei Größen, die im Rampenlicht stehen sollten. Nas startet nämlich gerade mit Nas Is Like, während Jr. Gong die Stage verlässt, um erst nach Classics wie Represent oder If I Ruled the World dieselbige wieder zu betreten, damit Nas während den 3 bis 4 Reggae-Liedern verschwinden kann. So ist das Schauspiel das sich dem Betrachter darbietet ein zweigeteiltes in doppeltem Sinn. Erstens zweigeteilt, weil der Fan sich nicht entscheiden kann zwischen der Enttäuschung über die fehlende Interaktion unter den Zweien und der bleibenden Freude über das wirklich zustande gekommene Auftreten der zwei beim Splash. Zweitens zweigeteilt, weil der über-entspannte Damian Marley bloß halbherzig und etwas distanziert seine Stücke dem deutschen Publikum präsentiert und Nas dagegen seine Nummern mit Eifer und Hunger mehr als gut durchbringt. Beide bleiben in Erinnerung – Nas in Topform und Damian Marley war auch dabei.

{image}So endet der erste Tag auf der Hauptbühne und so beginnt der erste Tag im Grenada Haus und im Samoa Tent. Das Set von Hudson Mohawke fährt durch Mark und Knochen und äußert sich in kollektiv unkontrollierten Tanzbewegungen. Halb Splash! feiert in den zwei Räumlichkeiten auf dem Gelände, die andere Hälfte feiert auf dem Zeltplatz, so sich Müll und Liegengebliebene eng umschlungen wiederfinden. Feiern ist hart. Splash 13. Hart und friedlich.

Weiterlesen: Splash! 2010, Tag 2

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