Dendemann (live auf dem MELT! Festival-Samstag 2010)

Dendemann (live auf dem MELT! Festival-Samstag 2010) © René Peschel

Auch 2010 bot das Melt! wohl nicht nur das am besten gekleidete Festivalpublikum und eine der schönsten Kulissen, sondern auch ein großartiges Line-Up, das gekonnt zwischen Indie und Electronic wechselte.

{image}Im Gegensatz zu vielen anderen Festivals ist das Publikum des Melt! schon seit Jahren stets so angezogen, als ob es gerade auf dem Weg zum nächsten Club wäre. Kleidet sich der Besucher auf anderen Festivals eher zweckmäßig, diktiert auf dem Melt! die Indie-Disko das Äußere. Ob das übertrieben ist oder nicht, muss jeder für sich selbst entscheiden. Auch am Samstag ist noch überall der Laufsteg präsent, hunderte Morrissey-look-alikes werden an jeder Ecke gesichtet. Erstmal aber heißt es für das regioactive.de-Team nach einer langen Freitagnacht aufwachen, zurechtfinden und auf dem Festivalgelände ankommen. Der Regen, der am Morgen alles abkühlt, hilft hier ungemein. Trotzdem, so richtig wach ist noch keiner.

{image}Hurts hört man und schläft dabei fast wieder ein. Gegen die Müdigkeit helfen kann da nur ein überaus gut gelaunter Dendemann inklusive Live-Band. Das iPhone sagt: 35° im Schatten. Die groovenden Songs mit einer Portion Fratzenrock lassen die gefühlte Temperatur auf 70° steigen und es dauert nicht lange, bis die stumpfen Füße stampfen oder gar die Nacken krampfen. "Es geht mir gut, es geht mir sehr sehr gut!" – man kennt es, man liebt es. Kurz ausruhen und weiter zu The Big Pink, die letztes Jahr vom NME zum "Best New Act" getauft wurden. Es ist nicht nur die Frisur von Frontmann von Robbie Furze, die zu polarisieren weiß; dicke Gitarrenwände, bunte Pedale und Verstärker liefern Songs, die ins Ohr dringen, um sich im Hirn zu verankern. Melodien sind zwar erkennbar, diese werden aber vom Krach verschluckt und zu einem wohlschmeckenden Brei verkocht. Faszination against Tinnitus.

{image}Etwas Ruhe kann da wohl nur einer bringen: Jamie Lidell. Begonnen hat er vor Jahren mit Techno, war dann mal zeitweise mit Cristian Vogel als Super Collider unterwegs und nun macht er Funk, klassischen und unholprigen Funk, der nur noch gelegentlich seine Fallen aufstellt. Fallen in Form von kurzen Bleeps und Blongs oder Verwirbelungen im Synthesizer. "Das grooved doch wie die Hölle", schreit Sven, der nur kurz vorher noch zu Matthias Tanzmann ordentlich das Tanzbein geschüttelt hat. "Und das verrückte Bühnenbild erst!", fügt sein Kumpel Dieter nahtlos hinzu, während er genüsslich an seinem Red Bull mit Wodka nippt.

{image}Der Samstag gehört aber ganz alleine den trommelnden Affen und überdimensionierten Limousinen, die den Coolness-Faktor eines Snoop Doog nur noch wie einen dampfenden Hundehaufen wirken lassen. Chris Cunningham gehört neben Spike Jonze und Michel Gondry zu den talentiertesten Musikvideo-Produzenten und hat sich in der Vergangenheit durch Clips wie Come to Daddy von Aphex Twin, All Is Full Love von Björk und Second Bad Vilbel von Autechre einen Namen gemacht. Die verstörenden und visuell perfekt umgesetzten Videos gelten als Meilensteine im Spezial-Effekte-Bereich. Bereits letztes Jahr hat Chris Cunningham mit Aphex Twin auf der Bühne kooperiert und ist nun für einige Termine alleine auf Tour. Ausgestattet mit riesigen Leinwänden und einer darauf abgestimmten Light-Show weiß der Brite zu begeistern.

Durchatmen jetzt. DJ Shadow, 80 Beats per Minute – irgendwie dem Herzschlag des Menschen ähnlich. Das Leben vor der Bühne wird kurz entschleunigt, kurz wieder angeschoben, bleibt zwischenzeitlich in einer Rille kleben oder läuft sogar rückwärts. Mario schreit: "Jaaaaaaaaaaaa".

{image}Am Sonntagmorgen fehlt der Regen, der den Samstag so wunderbar entspannend gemacht hatte. Unerbittlich brennt die Sonne auf die Zelte und lässt jede Schlafstätte zur Sauna werden. Nur die Harten oder Betrunkenen halten es länger dort aus, die meisten Festivalbesucher verlassen schon am Vormittag zwangsweise ihre Koje. Daher auch etwas unausgeschlafener geht es am Nachmittag auf das Gelände, um den letzten Tag des Melt! nocheinmal richtig auskosten zu können. Mit Martina Topley Bird ist im Zelt nach den anstrengenden beiden Tagen auch ein guter Einstieg geschafft. Die ehemalige Partnerin von Tricky bezaubert mit entspannter elektronisch angehaucher Musik und einem Typen in Ninjakostüm, der Schlagzeug und Gitarren spielt...

{image}Auf Topley Bird folgend erscheint Get Well Soon anfangs passend, stellt sich aber nach kurzer Zeit als für die Uhrzeit, es ist immerhin noch später Nachmittag, und den strahlenden Sonnenschein doch viel zu melancholisch und düster heraus. Der Funke will nicht wirklich überspringen, dass Publikum kann mit der Band um Konstantin Gropper leider nicht viel anfangen. Das Problem haben Broken Bells, das Duo aus Brian Burton aka Danger Mouse und James Mercer, nicht, man bleibt dem Sonntag aber gewohnt musikalisch treu: Ruhig und gelassen geht es zu. Eigentlich könnte aber aber auch Mercers Hauptband, die Shins, spielen, ein großer Unterschied besteht im Sound eigentlich nicht. Schließlich ist aber genug mit ruhiger Musik und so muss ein Weckruf folgen: Fucked Up! Die Band um Frontmann Damian Abraham setzt das Publikum unter Strom, vor allem weil Abraham die ganze Zeit im Publikum hin und her rennt, auf Gerüste klettert oder am ende die Zelt-Bar besteigt. Gut, dass das Konzert nicht draußen stattfindet, er wäre wohl auch am Bagger hochgeklettert.

{image}Goldfrapps folgender Auftritt auf der Hauptbühne hätte neben dem von Massive Attack wohl das Highlight des Abends werden können, verkommt aber zum netten Pop-Stelldichein, das nicht wirklich überzeugt. Alison Goldfrapp wird von zwei großen Ventilatoren belüftet und singt ganz hübsch, ansonsten passiert aber nicht wirklich etwas. Höhepunkt des Tages soll darauf dann Massive Attack werden, die das Publikum aber gespalten zurücklassen. Einige sind von der Bristoler Trip-Hop-Formation begeistert, andere finden den Auftritt für einen Headliner-Slot zu langatmig. Dass das Hauptaugenmerk auf der Platte Heligoland liegt, ist vorher schon abzusehen, aber auch einige alte Hits finden ihren Weg auf die Bühne. Für den wirklichen Abschluss mit etwas mehr Saft, den Crookers, reicht die Kraft nach drei Tagen Dauerparty nicht mehr und so geht es von unserer Seite aus leicht betrübt nach Hause, schließlich ist das Melt! auch in diesem Jahr wieder viel zu schnell vorbei gegangen.

Am Ende bleibt ein großartiges Event in der Stadt aus Eisen und schon jetzt die Vorfreude auf 2011, besser gesagt auf das Wochenende vom 15. bis 17. Juli. Bis dahin heißt es in Erinnerungen zu schwelgen.

Den Bericht vom Freitag des Melt!-Festivals 2010 findet ihr hier.

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