The Necks (2018)

The Necks (2018) © Camille Walsh

Seit 1987 perfektionieren The Necks ihre trügerisch einfache Form von irgendwo zwischen Jazz, Ambient, Minimal Music und Krautrock angesiedelter Musik. Im Karlstorbahnhof Heidelberg zeigen sie bei Enjoy Jazz, dass ihre Entwicklung auch nach über 30 Jahren noch nicht stillsteht.

Auf ihrem jüngsten Album "Body" (2018) flirten die Australier von The Necks mit E-Gitarren und Post-Rock. Wer dies auch bei ihrem Auftritt im Rahmen des Enjoy Jazz-Festivals im ordentlich gefüllten Heidelberger Karlstorbahnhof erwartet, der wird (zumindest ein wenig) enttäuscht.  

Improvisational Improvements

Live-Improvisation ist seit jeher ein Steckenpferd der Necks – einfach nur ein Album "runterspielen" wäre geradezu eine Beleidigung ihrer Talente. Und auf welch hohem Niveau die Gruppe spielt, demonstriert sie während ihres knapp 90-minütigen, aus zwei Sets bestehenden Auftritts nachhaltig.

Beide Sets verfahren dabei nach einem ähnlichen Schema: Ein Instrument beginnt die Improvisation mit einer simplen Figur, aus der sich dann im gemeinsamen Zusammenspiel eine in ihrer Intensität stetig ansteigende Komposition entwickelt. 

The Neck of the Swans

Trotz ähnlicher Herangehensweise unterscheiden sich beide Sets grundlegend. Das erste beginnt mit einer langsamen, ambientigen Pianomelodie, deren sphärischer Charakter durch die repetitive Basslinie des Kontrabassisten Lloyd Swanton und dem nur auf Becken fokussierten Drumming Tony Bucks verstärkt wird.

Aus dieser Klangwelt entwickelt sich mit der Zeit ein sich verdüsterndes Crescendo, das die Necks mit einer Swans-esken Beharrlichkeit für den Gutteil des "Songs" zelebrieren. Der Zusammenhang überrascht nicht, denn Swans-Mastermind Michael Gira hat The Necks explizit als Einfluss benannt.

Die Drums wandeln sich hier vom Sphärischen zu einem nervösen Angriff aus Becken und sonstiger Metall-Percussion, während Swanton mit schier endloser Energie seinen Bass bearbeitet. Über all dem schwebt das charakteristische Spiel von Chris Abrahams, der in beharrlich-kraftvoller Repetition das Grundthema weiterentwickelt, um es dann zum Schluss gemeinsam mit seinen Mitmusikern zum dissonanten Einsturz zu bringen.

The Sound

Die zweite Komposition (oder Improvisation?) beginnt mit String-Noises des Kontrabasses und dem hektischem Hand-Drumming Bucks deutlich schräger als die erste. Diese unruhige Tendenz wird jedoch durch das Einsetzen des Klaviers entschärft – statt – wie im ersten Set – verstärkt. Abrahams entwickelt eine synkopierte, an Philip Glass erinnernde Akkordfolge, die im Laufe der zweiten 45 Minuten immer mehr Tiefe und Raum gewinnt.

Zum Höhepunkt des Stückes verschwimmen die Instrumente in einem hypnotischen Strudel. Die verschiedenen Beiträge der Musiker bilden ein Ganzes, von dem man kaum glauben mag, dass das alles improvisiert ist.

Wo es bei anderen Gruppen (gerade auch im Jazz) eine klare Trennung zwischen den Instrumenten gibt, legen es The Necks auf den einen, zentralen Sound an – der wiederum durch die zahllosen, komplexen Texturen, mit denen die Instrumentalisten ihn ausstatten, eine schier endlose Faszination bietet.

Gelungener Spagat

Dieser unbedingte Wille, gerade in der Improvisation auf einen gemeinsamen Klang hinzuarbeiten, anstatt sich als individueller Musiker selbst profilieren zu wollen, ist zweifelsohne das herausragendste Merkmal der Necks. Ebenso bemerkenswert ist jedoch die Souveränität, mit der es ihnen gelingt, auch Pfade abseits ihres etablierten Sounds zu beschreiten.

Es finden sich in beiden Sets des Abends zahlreiche, in ihrer dreißigjährigen Karriere etablierte Trademarks. Doch gleichzeitig verzichten The Necks zu großen Teilen auf die so typischen, krautigen Rhythmen, opfern einen Teil ihres so zugänglichen Ambient-Charmes einer höheren Komplexität und dichterer Textur – und das mit einer so unnachahmlichen Sicherheit, dass es beinahe einerlei wirkt.

Der Auftritt der Necks im Karlstorbahnhof ist eine Art Spagat zwischen dem Bekannten und dem Neuen, zwischen Erwartung und Überraschung. Die Australier loten spielerisch die Grenzen ihres Sounds aus, überschreiten sie gelegentlich mit vollstem Selbstvertrauen – und bieten dem Publikum damit einen so spannenden wie einprägsamen Auftritt. 

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