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Motörhead (live in Frankfurt 2015) © Rudi Brand

Der runde Geburtstag einer lebenden Legende muss gebührend gefeiert werden. In der vollgepackten Frankfurter Jahrhunderthalle zeigen sich Motörhead pünktlich zum Jubiläum mit Unterstützung von Saxon laut, druckvoll und stark wie eh und je.

Lemmy Kilmister ist und bleibt ein echtes Phänomen. Seit vier Jahrzehnten ist der Kopf von Motörhead mit seiner Band aus der Rockszene nicht mehr wegzudenken. Obwohl alte Weggefährten, wie sein kürzlich verstorbener früherer Schlagzeug Phil “Philthy Animal“ Taylor, aufgrund eines ähnlichen Lebenswandels die Segel streichen, trotzt der fast 70jährige Engländer mit der markanten Reibeisenstimme immer wieder dem Sensenmann.

Jubiläumstour mit Freunden

Das vierzigste Jubiläum von Motörhead steht immerhin an und sein eigener runder Geburtstag kurz vor der Tür. Also lässt es sich der Whiskey- und Zigarettenliebhaber nicht nehmen, trotz eigener gesundheitlicher Probleme in der jüngeren Vergangenheit mit seiner langjährigen Stammbesetzung Phil Campbell und Mickey Dee, der vor wenigen Monaten erst erschienenen Platte “Bad Magic“ und jeder Menge zusätzlicher Unterstützung einmal mehr in Frankfurt aufzutauchen.

Girlschool, mit denen zusammen Motörhead schon Anfang der 1980er Jahre eine erfolgreiche EP aufgenommen haben, beginnen den Abend. Die vier Rock'n'Roll-Frauen aus London müssen allerdings damit leben, dass das Haus bei ihrem Auftritt noch nicht vollbesetzt ist. Der frühe Starttermin sorgt gepaart mit dem in Hessen aufkommenden Winter, einer Konkurrenzveranstaltung in unmittelbarer Nähe und jeder Menge Verkehrschaos dafür, dass zahlreiche Fans noch auf den Straßen feststecken.

Metallische Inselsachsen

Als mit Saxon zu guter Letzt die zweite Vorgruppe die Bühne betritt, füllt sich die Jahrhunderthalle und ist im Laufe ihres Sets bereits proppenvoll. Die NWOBHM-Ikonen um Sänger Biff Byford tun auch alles dafür, den aus der eisigen Kälte in die Arena strömenden Zuschauern bestens einzuheizen. Neben der ständig die Fans anfeuernden Frontsirene liefert besonders die energische Bühnenpräsenz von Bassist Nibbs Carter einen weiteren Grund dafür, dass sich das Publikum pudelwohl fühlt.

Zwar präsentieren Saxon auch neue Stücke wie "The Devil’s Footprint" vom aktuellen Album "Battering Ram". Die deutlich größere Resonanz erzeugen aber natürlich Klassiker wie "Princess Of The Night", das ausgedehnte "Wheels Of Steel" mit Gesangshin und -her zwischen Byford und dem Publikum sowie das von den Zuschauern frenetisch geforderte "Crusader". Der Fanfavorit "747 (Strangers In The Night)" beendet schließlich nach beinahe einer Stunde eine fulminante, umjubelte Performance.

Brachialer Auftakt

Eine kurze Umbauphase später schwebt dann das hell beleuchtete Metallskelett eines Flugzeuges von der Hallendecke hinab, und Motörhead betreten unter tosendem Beifall mit "Bomber" die Bühne. Ohne große Reden zu schwingen, geht die einstmals angeblich lauteste Band der Welt sofort brachial zur Sache. Lemmy und seine beiden Mitstreiter gönnen weder sich noch den Fans eine Gnadenpause. Mit "Stay Clean", "Metropolis" und "Over The Top" jagt ein Klassiker den nächsten.

Das darauffolgende Gitarrensolo von Phil Campbell bietet die erste Möglichkeit zum kurzen Durchschnaufen. In brillanten Sound eingehüllt, verschwindet der Saitenmann hinter einer Wand aus grünem Licht. Genau wie Drummer Mickey Dee kommt er im Mix sehr gut zur Geltung, wohingegen das alkoholgetränkte Organ von Lemmy wiederholt im Klangbrei untergeht. Die streckenweise leicht unausgewogene Soundqualität bleibt ob der Lautstärke aber ein kleiner Makel.

Wilde Zeitreise in die 1980er Jahre

Motörhead wie auch ihr Publikum sind jetzt voll da. Als Campbell danach das Publikum zum Shouten animiert, erhält er zunächst nicht die erwünschte Reaktion aus der Menge. Kilmister kommentiert dies nur lapidar mit einem "schrecklich", dann wird der harte Ritt mit "The Chase Is Better Than The Catch" fortgesetzt. Mit "Lost Woman Blues" folgt schließlich der erste für Motörhead-Verhältnisse softere Song.

Wer sich aber jetzt darauf eingestellt hat, dass womöglich ein oder zwei weitere Nummern dieser Gangart folgen würden, wird herbe enttäuscht. "Rock It" von der unterschätzten Scheibe "Another Perfect Day" führt das Konzert sogleich zurück in wildere Fahrwasser, aber wer möchte bei einem Motörhead-Konzert schon viel Ruhiges hören? "Doctor Rock", "Just ‘Cos You Got The Power" und das brutale Titelstück vom "Orgasmatron"-Album führen die Reihe der Songs aus den 1980ern fort.

Der fleischgewordene Hammer von Thor

Zwischenzeitlich darf Schlagzeuger Mickey Dee glänzen. Auch wenn sein Vorgänger Phil Taylor die animalischen Züge bereits im Spitznamen trug, ist der Schwede ein ebenso tierisch guter Trommler. Lemmy nennt ihn nicht umsonst den besten Drummer der Welt. Inszeniert zu einem eindrucksvollen Lichtspektakel, bearbeitet Dee die Felle, dass es eine wahre Freude ist. Kilmister ist natürlich eine der absoluten Rocklegenden, aber der Skandinavier erweist sich als der heimliche Star des Abends.

Im Anschluss folgen die nächsten Highlights, die Motörhead wieder in ihre glorreichen Anfangsjahre zurückführen. Das mit einem bluesigen, an ZZ Top erinnerndem Riff ausgestattete "No Class" ist eine der Hymnen, die bei keinem Konzert der Band fehlen dürfen. Das Publikum honoriert dies dementsprechend. Dann kommt wohl der Klassiker des Trios schlechthin, "Ace Of Spades". Motörhead werden daraufhin euphorisch abgefeiert, als sie sich zum ersten Mal von der Bühne verabschieden.

Hartes und Zartes

Die erste Zugabe nach ihrer Rückkehr auf die Bühne fällt im Kontext des sonstigen Härtegrades geradezu leise aus. "Whorehouse Blues" ist eine rein akustische Nummer, bei der sich Mickey Dee an der zweiten Gitarre versuchen darf und dabei zeitgleich Bass Drum und Hi-Hat bedient, während Lemmy sich auf Gesang und Mundharmonika konzentriert. Fällt der ruhige Song auch aus dem Rahmen, ist doch er zurecht seit einem Jahrzehnt fester Bestandteil von beinahe jedem Motörhead-Konzert.

Der Abschluss des Abends gehört dann wieder dem Übermaß an Härte. Mickey Dee bewegt sich wieder hinter sein Drumkit, beginnt, darauf einzudreschen, was das Zeug hält – und schon machen die Zuschauer erneut eine Zeitreise in die Vergangenheit. Der metallene Bomber kehrt über der Bühne schwebend zurück. Was könnte in einem solchen Moment wohl passender sein als "Overkill"? Sowohl Motörhead als auch ihr Publikum sehen dies ähnlich, und beide geben beim grandiosen Finale noch einmal alles.

Die Legende lebt

Als sich die Zuschauer wieder hinaus in den Schneeregen begeben, sind vermutlich alle mit dem Verlauf des Abends mehr als zufrieden. Lemmys Stimme mag ein Stück weit brüchiger geworden und im Dezibelgewitter leicht untergegangen sein. Ansonsten präsentiert er sich knapp über 90 Minuten lang in überraschend starker Form. Nach den vielen abgebrochenen und abgesagten Shows in letzter Zeit konnte wirklich keiner damit rechnen, dass Motörhead noch im Jahr 2015 pünktlich zu ihrem vierzigjährigen Jubiläum mit einer Art Greatest Hits-Set so bärenstark zurückkehren würden.

Lemmy Kilmister ist eine der letzten verbliebenen Verkörperungen des guten, alten Rock'n'Roll, den viele von Castingshows und dergleichen gepeinigte Menschen in der heutigen Musikwelt so schmerzlich vermissen. Er bleibt ein medizinisches Wunder. Wer weiß, vielleicht hat er sich zum Geburtstag vom Christkind einen Sprung in den Jungbrunnen gewünscht. Pünktlich am 24. Dezember feiert der Rockprophet nämlich seinen Siebzigsten. Nach einer solchen Leistung wie in der Frankfurter Jahrhunderthalle hoffen zahlreiche Fans bestimmt, dass er noch viele Jahre so weitermachen kann.

Setlist

Bomber / Stay Clean / Metropolis / When The Sky Comes Looking For You / Over The Top / Phil Campbell Gitarrensolo / The Chase Is Better Than The Catch / Lost Woman Blues / Rock It / Orgasmatron / Doctor Rock (inklusive Mickey Dee Schlagzeugsolo) / Just ‘Cos You Got The Power / No Class / Ace Of Spades // Whorehouse Blues / Overkill

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