Apparat (2015)

Apparat (2015) © Constantin Falk

Der Musiker und Produzent Apparat gastiert im Rahmen der Tunneleffekt-Reihe von Enjoy Jazz im Nationaltheater Mannheim. Nach gut 90 Minuten Konzert kann sich niemand mehr auf den Stühlen halten. Versuch eines Berichts.

Als Kind war ich großer Fan der Sendung mit der Maus. In einem für mich sehr eindrücklichen Beitrag wurde einmal die Person vorgestellt, die für die Klangeffekte der Maus-Clips verantwortlich war: der Geräuschemacher. Dieser Mitarbeiter des ARD-Teams erzeugte aus Instrumenten und Alltagsgegenständen Töne, die man so nie erwartet hätte.

Das, was Apparat, bürgerlich Sascha Ring, am 31. Oktober im Nationaltheater Mannheim fabriziert, war im Grunde nichts anderes – mit dem kleinen Unterschied, dass Apparat die Grenzen der bekannten Musiklehre auslotet und hinter sich lässt.

Genresprengend

Als Ring gemeinsam mit drei Mitmusikern und zwei Visualkünstlern die Bühne des Nationaltheaters betritt, ist der gesamte Saal abgedunkelt. Die einzige Lichtquelle ist die riesige Leinwand im Hintergrund der Bühne, die in einem blassen Grau schimmert. Anfangs erkennt man nur wenige Instrumente, es stehen einige Synthesizer und Laptops auf der Bühne herum.

Die ersten Töne erklingen. Bereits jetzt merkt man, dass auf althergebrachte Strukturen wenig gegeben wird. Zwar erwartet die Zuhörer keine reine Elektronik – der Unterbau des ersten Stückes stammt vom Cello – doch dominieren von Synthesizern erzeugte Laute und elektronisch verzerrte Stimmen die Klangwand. Die meisten Stücke Apparats sind dabei sehr dynamisch, haben einen langen Aufbau und gehen weit über die Länge der meisten Popsongs hinaus.

Lichtkunst

Neben der Musik erwartet das Publikum in Form der Leinwand eine weitere Erfahrungsebene, nämlich die visuelle. Die Leinwand wird nämlich nicht, wie man vielleicht erwarten könnte, mit vorgefertigten Bildern aus dem Computer gespeist. Stattdessen sitzen zwei Künstler der Gruppe Transforma an einem Gerüst und erzeugen durch so unterschiedliche Werkzeuge wie Bildschirme, Acrylplatten oder Prismen ungeahnte Bilder, die durch eine Kamera direkt auf die Leinwand übertragen werden.

Als Zuschauer wird man förmlich hineingesogen in eine Welt abstrakter Formen, was noch dadurch verstärkt wird, dass sich die Künstler auf der Bühne in den meisten Fällen im Halbdunkel befinden und nur schwer zu erkennen sind. Zusätzlich zur Leinwand werden Stroboskope genutzt, die immer wieder aufblitzen und den Saal für Millisekunden taghell erleuchten. In einem späteren Stück wird sogar die Saalbeleuchtung gekapert und der bespielte Raum somit über die Bühne hinaus erweitert.

Bis zum Horizont

Aber auch und gerade musikalisch erweist sich der Abend als Grenzgang. Es ist schwierig, die Geräusche, Klänge und Töne, die auf das Publikum einprasseln, genau zuzuordnen. Das ist aber auch gar nicht nötig, denn der Gesamteindruck ist das, was Apparat ausmacht. Zwischen den teils schon dystopisch anmutenden Klangteppichen sticht in einigen Stücken die klare Stimme Rings hindurch, die wie ein Silberstreif durch den Saal schwebt, an der man sich festhalten kann.

Die wenigen Stellen im Programm, an denen die Musik gänzlich schweigt, werden mit begeistertem Applaus gefüllt. Ring selbst wendet sich währenddessen nur zwei- oder dreimal mit Danksagungen ans Publikum. Insgesamt entsteht der Eindruck, als würden die Musiker gänzlich hinter ihrer musikalischen und visuellen Darbietung zurücktreten.

Zu neuen Ufern

Nach gut siebzig Minuten verlassen die Künstler unter tosendem Applaus die Bühne. Gut zwei Minuten später hält dieser immer noch an, sodass man sich selbstverständlich die Ehre einer Zugabe gibt. Weitere zwanzig Minuten können die Zuhörer sich in ungeahnte musikalische Sphären entführen lassen. Das letzte Stück endet gänzlich unverzerrt nur mit Cello, Becken und Gesang. Der letzte Ton verstummt und der Applaus bricht los. Niemand im Saal bleibt noch auf dem Sitz und nach einer letzten Danksagung leert sich die Bühne.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts schlossen weltweit viele naturwissenschaftliche Institutionen, weil man der Meinung war, alles erforscht und die Wissenschaft beendet zu haben. Dann wurden Alpha-, Beta- und Gamma-Strahlung entdeckt und gänzlich neue Felder eröffnet. Solch eine Funktion nehmen Künstlerinnen und Künstler wie Apparat heute für die Musik ein. Es bleibt zu warten und zu hoffen, welche weiteren jetzt noch unvorstellbaren Klangwelten uns noch geöffnet werden.

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