Urs Stahel (2014)

Urs Stahel (2014) © Dan Cermak, Zürich

Hauptbahnhof Mannheim: Es ist schwül und heiß, ein typischer Sommer in der Metropolregion Rhein-Neckar. Aus der Menge schälen wir ihn sofort heraus, obwohl er mit namenlosem Hemd, Hose, Schuhen und Aktentasche alles tut, um nicht aufzufallen. Er freut sich, gerade einen Taxifahrer kennengelernt zu haben. Jemandem wie ihm gelingt der Spagat zwischen Alltag und Bildererotik mühelos. Urs Stahel, Mitbegründer und langjähriger Direktor des Fotomuseums Winterthur, ist der richtige Mann für das Fotofestival Mannheim-Ludwigshafen-Heidelberg. Es geht 2015 in seine sechste Runde und der 61-jährige Schweizer wird es kuratieren.

Kulturregion Rhein-Neckar: Was bedeutet es für Sie, das Fotofestival Mannheim-Ludwigshafen-Heidelberg zu kuratieren?

Urs Stahel: Es ist eine spannende Herausforderung. Einmal wegen der Größe des Festivals. Es sind rund 4.000 Quadratmeter an acht Ausstellungsorten zu bespielen. Und auch wegen der bisherigen Festivals, die zeigen, dass hier Fotografie wirklich ernst genommen wird.

KRN: Wovon gehen Sie bei der Entwicklung eines Konzepts aus?

Urs Stahel: Von den Räumen einerseits. Dann von den Feldern, Richtungen, Fragestellungen, die mich an heutiger Fotografie interessieren. Und schließlich von spannenden, dichten, visuell starken fotografischen Arbeiten. Diese drei Felder sind langsam miteinander zu verweben.

KRN: Sie haben Germanistik, Philosophie und Geschichte studiert. Wie kamen Sie zur Fotografie?

Urs Stahel: Um Ihre Frage erst mal zu umgehen: Wenn ich mein Leben neu anfangen könnte, was würde ich dann anders machen? Ich beantworte diese Frage an mich selbst immer mit: Gerne noch mal das Gleiche, die einzige Alternative wäre die Architektur. Nach dem Studium war ich schnell nur noch im Kunstbereich unterwegs, war Kritiker, Kurator und habe recht bald ohne universitäre Vorkenntnisse Fotogeschichte unterrichtet. Eine Ausbildung in Fotogeschichte gab es damals in Europa noch nirgends.

KRN: Auch ohne selbst zu fotografieren?

Urs Stahel: Doch, mit 16 Jahren bin ich mit der Kamera meines Vaters losgezogen, habe von Freunden gelernt, wie man Filme entwickelt, und habe mit ihnen eine Zeit lang ein Labor unterhalten. Mit 22 oder 23 Jahren führte das sogar zu einer Ausstellung bei einem Edel-Trödler. Mit 24 habe ich damit aber wieder aufgehört.

KRN: Was waren das für Fotografien, Ihre ersten?

Urs Stahel: Das waren vor allem Reisefotografien, mit einem Hang zu einem surreal-psychologisierenden Setting. Ein Bild zeigte zum Beispiel einen Innenhof mit mehreren schwarzen Türen, die wie düstere Löcher wirkten. Das hat mich damals fasziniert. Ich war begeistert vom Tunnel bei Dürrenmatt, der nicht mehr aufhört. Doch ich hörte bald wieder auf zu fotografieren. Dafür begann ich darüber zu schreiben. Und 1990 kuratierte ich eine Ausstellung über Schweizer Fotografie. Damit kam die Fotografie definitiv zurück zu mir.

KRN: Darf ich kurz bei der schwarzen Tür einhaken. Ich kann verstehen, dass unscheinbare Dinge besonders wirken, aber wie kriege ich das Besondere einer schwarzen Tür ins Bild?

Urs Stahel: Das liegt einerseits an der Absicht des Fotografen und an seiner visuellen Fähigkeit, das Gesehene, Eingefangene zum Reden, zum Erzählen zu bringen.

KRN: Ist Fotografie Kunst, wenn so etwas gelingt?

Urs Stahel: In einer bestimmten Weise, ja. Aber die Fotografie ist ein Prozess, mit dem man viel Verschiedenes machen kann. Familienfotos, Reisebilder, politische Bilder, Werbung, Sachfotografie und schließlich kann man damit auch Kunst machen. Seit zwei, drei Jahrzehnten wird das auch allmählich akzeptiert. Wer sich im Kunstbereich bewegt, der macht auch mit Fotografie Kunst. Die Frage ist dabei heute nicht mehr, ob Fotografie Kunst sein kann, sondern ob sie spannende oder langweilige Kunst ist.

KRN: Kann man gute Bilder auch kaputtzeigen, etwa indem man mit schlechten Bildern guten Bildern den Schneid "abkuratiert"?

Urs Stahel: Alte Weisheit: Kleider machen Leute! Ja, die gleichen Bilder in unterstützender oder irritierender Weise gehängt, erzeugt erstaunliche Unterschiede in Präsenz und in Wahrnehmung der Bilder.

KRN: Wie bewerten Sie die Digitalisierung der Fotografie?

Urs Stahel: Zunächst ist die Fotografie dadurch noch immaterieller geworden. Es entstehen durch das Massenfotografieren immense Datenmengen. Das irritiert einerseits, anderseits offenbart es auch neue Möglichkeiten, weil es eine Multiperspektive auf das Geschehen der Welt freigibt. Fotografie ist ein Volkssport, wie Autofahren und Fußballspielen.

KRN: Was bedeutet das für die Fotokunst?

Urs Stahel: Dass Fotografie ein niederschwelliges Medium ist, hat mir immer gefallen. Es selektioniert das Publikum nicht schon im Voraus. Andererseits bedeutet es für einen Kurator, dass seine Arbeit sehr anspruchsvoll ist, wenn er die Fotografie von einem Volkssport in einen Denksport verwandeln will. Es genügt meist nicht, einfach zwölf schöne Bilder in einen Raum zu stellen.

KRN: Was bedeutet das für die vielen Ausstellungsorte hier?

Urs Stahel: Drei Städte und alle Ausstellungsorte sind Institutionen, die mit Kunst zu tun haben. Das sichert die Professionalität, die ein solches Festival braucht. Das freut mich sehr. Es gibt hier kein Rumzeigen in leer stehenden Kirchen oder auf wackelnden Stellwänden, wie an vielen, manchmal nicht so spannenden Fotofestivals.

KRN: Zum Schluss: Berühmte Fotografen aus der Gegend sind zum Beispiel Horst Hamann, Gerhard Vormwald, Robert Häusser. Welcher liegt Ihnen am nächsten?

Urs Stahel: Ich denke schon, Robert Häusser. Er hat eine Weile vor seinem Tod dem Fotomuseum Winterthur einmal ein Bild geschenkt. Hoffentlich werden es in der Zukunft noch mehr werden

Dieser Text ist dem Magazin "Die Festivals", einer gemeinsamem Broschüre des Netzwerks der Top-Festivals der Kulturregion Rhein-Neckar entnommen. Das Magazin zu den Festivals und weitere Publikationen zur Metropolregion Rhein-Neckar können hier bestellt werden.

Fotofestival Mannheim-Ludwigshafen-Heidelberg 2015

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