regioactive.de: David, wie würdest du deinen Beruf bezeichnen?

David Maier: Ich bin Musiker, Kurator und Autor. Ich habe zwei musikalische Hauptprojekte, das ist zum einen die Band Mini Moustache und zum anderen das Vereinsheim, eine erfolgreiche Konzertreihe in Mannheim und Karlsruhe. Etwa die Hälfte meiner Zeit investiere ich in das Jazz & Joy Festival in Worms, die andere Hälfte in meine anderen Projekte.

regioactive.de: Welche Bedeutung hat das Jazz & Joy Festival für Worms?

David Maier: Jazz & Joy ist sicherlich neben den Nibelungen-Festspielen die wichtigste kulturelle Veranstaltung in Worms. Das zeigt sich zum einen am Zuschauerzuspruch, letztes Jahr hatten wir 22.000 Besucher. Das zeigt sich aber auch in der Erwartungshaltung der Leute, denn das Festival ist den Wormsern sehr wichtig.

Eigentlich könnte man die Frage aber ausweiten auf "Welche Bedeutung hat das Festival für die deutsche Festivallandschaft?", da wir in den letzten zwei oder drei Jahren eine enorme Entwicklung hingelegt haben und in der nationalen Festivalszene verstärkt wahrgenommen werden. Mit unserem Angebot können wir durchaus in der Top-Liga der deutschen Festivals mitspielen, gerade im Vergleich mit anderen Jazz-Festivals brauchen wir uns nicht zu verstecken.

"Wir haben zu lange im regionale Bezug verharrt"

regioactive.de: Jazz & Joy hatte schon immer einen sehr hohen Zuschauerzuspruch und hat sich über die Jahre immer als Ereignis gehalten. Das Problem war nur, dass das Festival über die Region hinaus nur wenig bekannt war. Wie hast du das empfunden und zu ändern versucht?

David Maier: Natürlich sprechen wir hier von einem regional verankerten Festival, deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass ein starker regionaler Bezug existiert. Allerdings sind wir in diesem regionalen Bezug sehr lange verharrt. Das hat sich in den letzten Jahren massiv verändert. Wir versuchen, uns überregional zu präsentieren und werden verstärkt überregional wahrgenommen.

Das spiegelt sich in unseren jährlichen Besucherumfragen wider, man merkt es aber auch an der medialen Aufmerksamkeit. Im Zusammenhang dazu steht sicherlich auch die musikalische Programmierung des Festivals: Wir verpflichten Bands und Musiker, die auch im Pop-Bereich national wahrgenommen werden und dementsprechend unseren Namen weitertragen.

"Ich habe alles ausgeblendet, was vorher war"

regioactive.de: In der Vergangenheit gab es aber auch einige Probleme mit der Ausrichtung des Festivals: 2009 wurde zum Beispiel ein neues Preissystem ausprobiert, mit dem Ergebniss, dass am Sonntag nur ganz wenige Besucher kamen und an diesem Tag eine eher traurige Atmosphäre herrschte. Welche Maßnahmen hast du ergriffen, um das Festival wieder auf die richtige Spur zu bringen?

David Maier: Ich bin seit 2012 künstlerischer Leiter und habe zuerst einmal alles ausgeblendet, was vorher war. Mich hat nur interessiert, wie wir es schaffen, das Festival nicht nur zu stabilisieren, sondern auch noch einen Schritt weiterzugehen. Dabei wollte ich meine Handschrift einbringen, ohne das Festival grunderneuern zu müssen. Wir mussten ein Profil schaffen für das Festival, was gar nicht so einfach war, weil wir natürlich ein Multigenre-Festival sind. Deshalb habe ich versucht, für die einzelnen Bühnen ein klares Profil zu entwickeln.

Der Weckerlingplatz beispielsweise hat sich neben dem Platz der Partnerschaft als zentraler Ort des Festivals herauskristallisiert. Allerdings mussten wir die Musik grundsätzlich in einen stärkeren Kontext zu den Schauplätzen stellen. Mir war wichtig, dass der Weckerlingplatz nicht mehr als Bühne wahrgenommen wird, an der man seine Bratwurst isst, sondern als einzigartiges Musikerlebnis. Die Hauptbühne, die in diesem Jahr auf dem Marktplatz steht, haben wir tatsächlich auch zu einer Pop-Bühne gemacht, den Schlossplatz zu einer Blues- und Weltmusik-Bühne und die RENOLIT-Bühne an der Jugendherberge zu einer Bühne, wo man neue Bands entdecken kann.

regioactive.de: Du versuchst auch, die Substanz der Künstler allgemein etwas anzuheben.

David Maier: Auf jeden Fall. Wenn man aber sein Festival positionieren will, geht das natürlich nicht nur über die Qualität der Künstler, sondern auch über eine entsprechende Eigeninitiative wie beispielsweise Marketing-Aktionen.

"Auch ältere Zuschauer sind bereit, sich auf Neues einzulassen"

regioactive.de: Worms ist mit seinen 80.000 Einwohnern keine Großstadt und es gibt ein alteingesessenes Stammpublikum von älteren Leuten, die sich während des Festivals gerne auf einen Wein und eine Bratwurst treffen und sich von der Musik berieseln lassen. Ist es ein Risiko, gerade ihnen so viel Neues zuzumuten?

David Maier: Du unterschätzt die Offenheit des älteren Zielpublikums. Natürlich gibt es immer Diskussionen, im Großen und Ganzen wollen sich die Zuschauer aber auf Neues einlassen und werden auch selten enttäuscht. Musik ist immer noch Geschmackssache und damit muss man umgehen können, ich habe also ein reines Gewissen. Wir versuchen, ein entsprechendes Angebot für unsere älteren Musikfans zu schaffen, trotzdem sind wir aber ein Festival für unterschiedliche Zielgruppen.

regioactive.de: Der Verlust des Andreasstifts als Bühne in diesem Jahr ist sicherlich schmerzlich, wie soll der Wegfall dieser einmaligen Atmosphäre auf dem großen Platz der Partnerschaft kompensiert werden?

David Maier: Ich kann die Bedenken nachvollziehen. Die neue Jazzbühne ist aber so konzipiert, dass der Konzertbereich abgeschlossen ist und nicht durch das Treiben auf der Flaniermeile gestört wird. Ich bin davon überzeugt, dass wir die Ängste der Festivalfans zerstreuen können.

Im zweiten Teil: "Wichtig ist, dass wir jedes Jahr ein Wochenende schaffen, das sowohl die Wormser als auch die Gäste von außerhalb begeistert."

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"Wir streben eine kontinuierliche Weiterentwicklung an"

regioactive.de: Auf dem Marktplatz fanden seit vielen Jahren, genauer gesagt seit dem misslungenen Auftritt von Katja Riemann, keine Konzerte mehr statt. Was wollt ihr tun, um den Platz neu zu beleben?

David Maier: Wir werden den Marktplatz von der Größe her so anpassen, dass auch am Samstag- und Sonntagnachmittag keine "verlorenen Weiten" herrschen. Das ist die Kernherausforderung. Es wäre natürlich schade, wenn eine junge Band um 15 oder 16 Uhr vor einem fast leeren Platz spielt, das versuchen wir zu verhindern. Dieses Jahr wird außerdem erstmals die Straße vom Marktplatz bis zum Brunnen am Haus zur Münze gesperrt. Das heißt, wir haben ein richtiges Festivalgelände ohne befahrene Straßen.

regioactive.de: Welchen Schritt möchtest du dieses Jahr mit dem Festival in Bezug auf das Gesamtkonzept machen?

David Maier: Es gibt eher eine kontinuierliche Weiterentwicklung. Das Festival hat aber in den letzten Jahren eine so schnelle Entwicklung hingelegt, dass man nicht erwarten kann, dass es auch in Zukunft in diesem Tempo weitergeht. Deshalb müssen wir auch dankbar sein, wenn wir in einem Jahr das Niveau vielleicht nur halten können. Wir sind nicht in der Privatwirtschaft, wo Wachstum die erste Prämisse ist. Wichtig ist, dass wir jedes Jahr ein Wochenende schaffen, das sowohl die Wormser als auch die Gäste von außerhalb begeistert. Das ist mein Ziel.

"Ich stehe zu meinen Kompetenzen, auch zu denen, die ich nicht habe"

regioactive.de: Thomas Siffling spielt für das Festival auch eine Rolle, könntest du die Zusammenarbeit mit ihm etwas näher beschreiben?

David Maier: Als ich vor zweieinhalb Jahren die künstlerische Leitung übernommen habe, war mir klar, dass ich noch jemanden brauche, der künstlerischen Input geben kann. Ich bin popkultur-sozialisiert und liebe Jazzmusik, aber ich bin kein ausgewiesener Fachmann. Das sind Thomas Siffling und auch Wolfgang Schall. Ich stehe zu meinen Kompetenzen und auch zu denen, die ich nicht habe. Daher habe ich mir Leute ins Boot geholt, die mit einem etwas anderen Blickwinkel an die Sache herangehen können. Die beiden schicken mir ab und zu eine Mail, wir telefonieren oder treffen uns zum Abendessen und haben alle zwei Monate ein festes Arbeitstreffen. Die finale Entscheidung liegt bei mir, aber ich höre sehr gerne auf meine Kollegen.

"Wir konkurrieren mit anderen Festivals nicht um Zuschauer"

regioactive.de: Wie ist denn das Verhältnis zu den anderen Jazzfestivals in der Region wie Enjoy Jazz oder Palatia Jazz?

David Maier: Wir konkurrieren um Künstler, aber eigentlich nicht um Zuschauer, weil alle Festivals zu unterschiedlichen Zeitpunkten stattfinden. Ich habe grundsätzlich zu allen Festivalveranstaltern ein gutes Verhältnis. Wir verstehen uns gut und arbeiten ab und zu zusammen. Vor zwei Jahren haben wir die Initiative "Jazz Alliance" gegründet, die unsere Region und ihre Jazz-Akteure repräsentiert. Auf diesem Weg haben wir viel miteinander zu tun und tauschen uns regelmäßig aus. Die Kollegen der anderen Festivals nehmen unsere Entwicklung natürlich auch wahr und begegnen uns auf Augenhöhe.

regioactive.de: Wie siehst du das Verhältnis der Stadt Worms zu Jazz & Joy?

David Maier: Das Jazz & Joy erhält von der Stadt volle Unterstützung, der Wert des Festivals ist jedem Beteiligten also durchaus bewusst, obwohl die Nibelungen-Festspiele natürlich an erster Stelle stehen.

"Wir möchten die überregionale Wahrnehmung verbessern"

regioactive.de: Bist du genauso optimistisch, was die zukünftige Unterstützung der Stadt betrifft?

David Maier: Gerade in der heutigen Zeit werden Kulturausgaben natürlich immer wieder hinterfragt. Man muss aber klar und deutlich sagen: Unser Oberbürgermeister Michael Kissel ist sehr kulturaffin und sieht auch den Mehrwert, den große und gute Kulturevents für die Stadtentwicklung insgesamt haben. Wir bekommen breite Unterstützung, und dafür bin ich sehr dankbar.

regioactive.de: Wie sieht deine Zukunftsvision für Jazz & Joy aus?

David Maier: Ich möchte das musikalische Niveau konstant halten und die Ausrichtung weiterentwickeln. Außerdem soll die überregionale Wahrnehmung verbessert werden. Bei unserem Festival spielen um die 40 Künstler. Wenn wir diese Konzerte auf vier Wochen verteilen würden, wären wir eines der führenden Jazz-Festivals der Nation, davon bin ich überzeugt. Da wir die Konzerte auf nur drei Tage verteilen müssen, spielen teilweise Künstler mittags, die bei anderen Festivals als Headliner gebucht werden. Das birgt natürlich auch die Gefahr, dass diese Künstler von der Wertigkeit falsch eingeschätzt werden. Wenn es uns gelingt, den Wert des gesamten Festivals verstärkt zu kommunizieren, unabhängig von Headlinern oder Top-Acts, dann bin ich glücklich.

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